Nach EU-Verbot
Floridsdorfer Tätowierer geht gegen Farbverbot vor
Es ist durchaus etwas abstrakt, facettenreich und bunt ausgeschmückt: Was genauso gut auf ein Tattoo zutreffen könnte, bezieht sich aber auf das EU-Verbot von Stoffen in Tattoo-Farben. Stein des Anstoßes ist vor allem die Art und Weise, wie auf EU-Ebene entschieden wird.
WIEN/FLORIDSDORF. Wer Erich Mähnert kennenlernt, der merkt: seine Sicht auf die Dinge ist gar nicht nur schwarz oder weiß. Doch eine EU-Regelung zwingt ihn zumindest beruflich gerade dazu. Denn Mähnert ist Tätowierer, hat sein Studio in der Brünner Straße in Floridsdorf.
Warum es die EU in seinen - und in den Augen vieler seiner Berufskollegen - gerade zu bunt treibt? Seit 4. Jänner ist die REACH Verordnung in Kraft getreten. Was die ganz genau besagt, bzw. welche Auswirkungen sie hat, darüber herrscht vielerorts Chaos. Schließlich handelt es sich bei der Verordnung um einen über 500 Seiten langen Text, der nicht für jede Tätowiererin und jeden Tätowierer ohne Weiteres zu durchblicken sei, wie Mähnert anmerkt. Er selbst habe sich lange und intensiv damit auseinandergesetzt und resümiert die wichtigsten Eckpunkte folgendermaßen: "Ab 4. Jänner gab es nicht nur die Etikettierungsvorschrift, sondern in der Verordnung werden insgesamt 27 Pigmente verboten."
Die ersten 25 davon seien mit 4. Jänner bereits verboten. Hier, sagt Mähnert, sei es soweit auch in Ordnung, denn es gebe Alternativen, die man einsetzen könnte. Für die zwei weiteren Pigmente gebe es noch eine Übergangsfrist bis 2023. Zugleich seien aber auch die Grenzwerte für Zusatzstoffe und Hilfsmittel reduziert worden. Das Resultat: "Wir haben 100 Prozent der Farben in den Mistkübel werfen müssen", so der Tätowierer.
Die Pandemie funkt dazwischen
Und nun gibt es auch für die Hersteller ein großes Problem, wenngleich dieses laut Mähnert von ihnen lange Zeit bewusst ignoriert wurde. Trotz mehrmaligem Drängen der Tätowierbranche gab es hier kaum Bewegung. Vielmehr herrschte die Vorstellung, dass die Verordnung am Ende nicht in dieser Form in Kraft treten könne. Erst als die Verordnung konkret wurde, hätten sie unter Hochdruck an REACH-Konformen Produkten geforscht. Die Pandemie hat aber auch hier dazwischengefunkt - Lieferungen von Rohstoffen und Laborwerkzeugen haben sich verzögert oder waren gar nicht erst möglich.
Aber auch die Formel einer neuen Tätowierfarbe könne nicht von heute auf morgen erfunden werden, führt Mähnert weiter aus. Da gehören viele Testverfahren dazu, die sich teilweise über einen sehr langen Zeitraum erstrecken. Zudem sind die Testlabore durch die Pandemie überlastet. Schnell voran geht es hier keinesfalls. Mitten drin stecken nun die Tätowierer, die die Auswirkungen unmittelbar zu spüren bekommen, obwohl sie seit längerer Zeit auf das Szenario Aufmerksam gemacht hätte.
Auch der größte Hersteller, der mit verschiedenen Schwarztönen gerade an die 70 Farben bringt, bremst die Erwartungen. Schließlich fallen 2023 durch die Verordnung zwei existentielle Pigmente weg. Damit würden 65 Prozent, der auch jetzt noch verwendeten Farben nicht mehr auf dem Markt sein.
Vor dem EU-Petitionsausschuss
Auf einem Kongress der ESTP (European Society of Tattoo and Pigment Research) in Bern wurde Mähnert 2018 von einem Chemiker zum ersten Mal auf das Problem, das auf die Branche zukommen wird, aufmerksam gemacht. Seither ist er in ständigem Austausch mit verschiedensten EU-Institutionen, um sich für eine gerechte Kompromisslösung in diesem Bereich einzusetzen.
Wobei der Austausch häufig nur einseitig erfolgt, wie der Wiener beklagt. Viele Entscheidungen, auch eine erfolgreich eingereichte Petition, würden von Seiten der Verantwortlichen bewusst auf die lange Bank geschoben. Als Antwort gibt es häufig nur vorgefertigte Schreiben. Die Branche und ihr Anliegen sei vielen einfach egal, sagt Mähnert trocken - auch den meisten politischen Verantwortlichen hier in Österreich.
Es gab im März vergangenen Jahres sogar ein Online-Hearing vor dem EU Petitionsausschuss. Die Vorsitzende des Ausschusses kam am Ende zum Entschluss, dass die Vertreterin der EU-Kommission die gestellten Fragen nicht ausreichend beantwortet habe. Der Kommission wurde der Auftrag erteilt, schriftlich Stellung zu den Fragen zu beziehen und alles dem Gesundheitsausschuss zu übergeben.
Engagement für die Sache zeigt auch der österreichische Europaabgeordnete Alexander Bernhuber (ÖVP), mit dem Erich Mähnert in engem Kontakt steht. Doch das Engagement stößt weiter auf Gegenwind - Verzögerungen stehen weiter auf der Tagesordnung.
Es geht um Gerechtigkeit
Für den Floridsdorfer Tätowierer einfach unverständlich. Schließlich sei die Branche dafür, nur Stoffe zu verwenden, die absolut unbedenklich sind. Es gehe vielmehr darum, dass von Seiten der EU vieles auf die lange Bank gezogen werde und Vermutungen über die Schädlichkeit bestimmter Stoffe aufgestellt würden, obwohl die Untersuchungen dazu noch nicht abgeschlossen seien.
Dr. Andreas Schindl von der Wiener Ärztekammer betont hierzu: "Zwar gibt es etliche Studien in Tieren und Fallberichte von (Haut-)Krebs in Tätowierungen, ein direkter Zusammenhang zwischen Tätowierungen und der Entstehung von (Haut-)Krebs konnte bisher nicht nachgewiesen werden."
Dessen ungeachtet würden zahlreiche Tier- und Laborexperimente zeigen, dass die Kombination von Tattoofarben und UV-Licht eine ganze Reihe von potentiell krebserregenden Stoffen entstehen ließe. Außerdem seien Abbauprodukte von Tattoofarben in Lymphknoten, Leberzellen und anderen Immunzellen gefunden worden, was beweisen würde, dass die Farbstoffe (bzw. deren Abbauprodukte) sehr wohl in den Körper gelangen.
Dass Farbstoffe in den Körper gelangen würden, sei laut Mähnert auch nicht weiter überraschend, schließlich wäre ansonsten auch kein permanentes Tattoo möglich. Doch auf dieser Grundlage zu entscheiden, bildet für den Tätowierer keine solide Basis.
Von Seiten der EU wird darauf verwiesen, dass "im Einklang mit dem Verursacherprinzip die Beweislast, der Industrie auferlegt worden sei". Die Unternehmen müssen somit die Risiken im Zusammenhang mit Chemikalien ermitteln und beherrschen sowie "nachweisen, wie die Stoffe sicher verwendet werden können". Im Rahmen von REACH habe die EU Fortschritte bei der Beschränkung der Verwendung bestimmter Chemikalien gemacht, die schädlich für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt sein können, und ihre Ersetzung durch sichere Alternativen vorangetrieben, so die Pressestelle der EU-Kommission.
Auch Mähnert betont: "Die Verordnung selbst ist keine schlechte Idee. Aber es gehören einige Schrauben justiert. Damit ein Weg gefunden werden kann, der sowohl für die Konsumenten als auch die Industrie in Ordnung ist."
Ärgerlich sei für die Tattoo-Branche vor allem die kurze Übergangsfrist für jene zwei elementaren Pigmente, die ab 2023 verboten werden. Insbesondere in der aktuellen Ausnahmesituation ein viel zu kurzer Zeitraum, wie vom Floridsdorfer betont wird. Denn das Zulassungsverfahren für neue Pigmente bestünde aus mehreren Testverfahren, die sich über Monate und Jahre ziehen würden.
Mähnert und seine Mitstreiter versuchen weiterhin alle Seiten an den Verhandlungstisch zu bekommen und einen Kompromiss zu finden. Schon eine Verlängerung der Übergangsfrist, um in Ruhe an Alternativen zu forschen, wäre eine vernünftige Basis, sagt Erich Mähnert abschließend. Es bleibt wohl nur zu hoffen, dass die Verhandlungen nicht weiter farblos bleiben.
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