Das Kaffeehaus Ingeborg Bachmann schließt heute
Abschied vom dritten Ort

- hochgeladen von Franz Waditzer
Sterneckviertel Klagenfurt. Zwischen Retromöbeln und Designerlampen wurden auf kleinen, quadratischen Tischchen Kaffeespezialitäten von Hausbrandt neben herzhaft belegten Kaisersemmeln serviert.
Beinahe wie in Triest. Frühstück gab es übrigens bis 13 Uhr. Ein entspannter Faulenzertag mit Buch und Zeitung unterm Arm konnte also durchaus etwas später starten.
"Wenn man im kleinen Café am Eck einen Aperitif trank, fühlte man sich als wäre man in Italien, beim Nachmittagskaffee mit Freunden überkommt einen ein Hauch Berliner Hipster Feeling," informierte das News-Portal der Universität Klagenfurt. "Das Kaffeehaus Ingeborg Bachmann lud mit lässiger und entspannter Atmosphäre, guter Musik und feinen Hausbrandt-Kaffee in die Sterneckstraße ein. Manchmal legte der Chef auch ein paar chillige Beats auf und schuf so eine gemütliche Lounge Atmosphäre. Das Café Ingeborg bot einen bunten Mix aus allem und war dennoch clean und schick. Diese Unaufgeregtheit inspirierte uns: Wir blieben und lasen Zeitung, ganz ohne Stress. So, als wäre es 1970."
Das man mit der google Bewertung „gastgarten mittags im schatten. lounge-musik“
straight und alert umgehen konnte, bewies das coole Team um Erwin Wagner:: „Leider können wir den Sonnenstand nicht ändern aber dennoch versuchen wir mit der Qualität unserer Produkte zu punkten. ;)“
Im Stil von dérive Autor:innen könnte man es so formulieren:
Am Rande des Klagenfurter Kreuzbergls, dort, wo die Innenstadt ihre Verdichtung langsam verliert und der Stadtraum zu atmen beginnt, liegt ein Ort, der über fast zwei Jahrzehnte hinweg mehr war als nur Café. Das „Ingeborg Bachmann“ in der Sterneckstraße fungierte als sozialer Resonanzkörper, als Schwellenraum zwischen Alltagsflucht und urbaner Alltagsritualität. Heute wird es – zumindest in seiner bisherigen Form – verstummen.
Klaus Kirchauer, der Betreiber, verlässt nach 17 Jahren die Bühne des Alltagsbetriebs – nicht abrupt, sondern mit einer sanften Übergabe. Seine Nachfolger:innen, Martina und Günter Grass, übernehmen das Ruder und transformieren das Etablissement unter dem neuen Namen „Bachmann“. Der Wechsel markiert mehr als einen bloßen Generationenwechsel: Er steht exemplarisch für Prozesse, wie sie in vielen mitteleuropäischen Stadtvierteln zu beobachten sind – eine vorsichtige Weiterentwicklung im Zeichen der Kontinuität, eine kuratierte Transformation urbaner Identität.
Das Café als Mikro-Urbanismus
Was das Ingeborg Bachmann so besonders machte, war seine Fähigkeit, sich der Stadt und ihren Rhythmen anzupassen, ohne sich selbst zu verlieren. Es war kein Hotspot, keine Trenddestination, sondern ein Ort urbaner Verlangsamung. Frühstück bis in den frühen Nachmittag, leise Musik, Zeitschriftenkultur. Wer Platz nahm, betrat eine Entschleunigungszone, ein Intervall zwischen beruflichem Funktionieren und persönlichem Nachdenken.
Kirchauer, in seiner Biografie selbst eine Art transurbaner Akteur – von Genf über New York bis Wien – brachte - wie sein gesamtes, junges und hippes Team - ein feines Gespür für Gastlichkeit mit, das weit über bloße Dienstleistung hinausging. Seine DJ-Sets unter dem Namen Barry Bahia waren ebenso Teil der Rauminszenierung wie die kleine Schreibmaschine, die inmitten von Retromöbeln stand – ein fast romantischer Verweis auf die Namenspatronin Ingeborg Bachmann, deren Geburtshaus nur wenige Gehminuten entfernt liegt. Klaus: „Ich bin literaturaffin, hatte eine Schreibmaschine im Lokal." Josef Winkler kam beinahe täglich vorbei und tippte ein paar Zeilen auf das Papier, das immer eingespannt war. Martin Kušej saß im Garten in der Sonne. Josef K. Uhl ging vorbei zur Bushaltestelle nahe dem Künstlerhaus.
Das Sterneckviertel als Stadtrandlabor
Dass ein solcher Ort ausgerechnet im Sterneckviertel entstand – einem Quartier, das urbanistisch oft als Zwischenzone zwischen Innenstadtdichte und bürgerlichem Wohnen beschrieben wird – ist kein Zufall. Die Sterneckstraße selbst ist eine Art Stadtkanal: nie ganz Flaniermeile, nie ganz Verkehrsader, sondern ein hybrider Raum mit gastronomischen Inseln, Altbaufassaden, Zwischenbrachen. Hier gelingt es, Räume zu schaffen, die nicht vom Kommerz dominiert sind, sondern von Atmosphäre.
Das Café Ingeborg Bachmann war ein solcher Raum. Es bot Nähe ohne Aufdringlichkeit, es war ansprechbar, aber nicht verfügbar. Im besten Sinne ein Ort der urbanen Gastlichkeit, wie sie selten geworden ist.
Und jetzt?
Die neuen Betreiber:innen stehen nicht für Bruch, sondern für behutsame Weiterführung. Dass sie den Namen kürzen – von Ingeborg Bachmann zu Bachmann – ist dabei keine Distanzierung, sondern ein kuratorischer Eingriff, der aufzeigt: Stadt ist immer auch eine palimpsestartige Übung in Transformation.
Und Klaus Kirchauer? Der zieht sich zurück, nicht aus dem Leben, sondern aus dem öffentlichen Raum. Seine neue Bühne ist die Ferne: New York, Griechenland, Radio: „Ich werde meine Tochter Romy in New York besuchen und möchte mit meiner Frau mit dem Rucksack durch Griechenland reisen." Auf Radio Superfly wird er weiterhin jeden zweiten Freitag die Sendung Café Ingeborg gestalten – ein Echo des Ortes im Äther und eine Verbeugung vor seinen treuen Gästen.
Ephemeres bleibt
Mit dem Abschied des Kaffeehauses Ingeborg Bachmann verliert Klagenfurt nicht bloß ein Café. Es verliert einen Teil seiner leisen Urbanität. Und gewinnt – vielleicht – eine neue Version davon. Denn wie jeder gute Stadtraum lebt auch dieses Viertel vom Wandel. Und von Orten, die sich an der Schnittstelle von Alltag und Utopie verorten.
Am Ende bleibt uns nur ein Zeile aus Christine Lavants Gedicht "Wie gut":
Der Ort, wo wir uns trafen,
war niemals wirklich in der Zeit.
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