"Nicht zwischen Opfer und Opfer unterscheiden!"

Karl Rupitsch mit Tochter Brigitte Höfert etwa 1943 | Foto: Brigitte Höfert
6Bilder
  • Karl Rupitsch mit Tochter Brigitte Höfert etwa 1943
  • Foto: Brigitte Höfert
  • hochgeladen von Matthias Leinich

Wie lange haben Sie für einen Gedenkstein für die Deserteure aus Goldegg (in der Zeit des 2. Weltkrieges) gekämpft?
BRIGITTE HÖFERT: Der Gedanke kam mir 2008, als der ORF eine Dokumentation über die Deserteure produziert hat (Titel: Die Ungehorsamen). Ich durfte damals die Geschichte meines Vaters vorstellen. 2009 wurde das Rehabilitations-Gesetz abgesegnet, und da hat sich bei mir dieser Gedanke manifestiert.

Warum hat das so lange gedauert?
BRIGITTE HÖFERT: Die Gemeinde Goldegg hat es unter dem damaligen Bürgermeister Hans Mayr zweimal versprochen. Von der zweiten Zusage besitze ich sogar eine Tonaufnahme. Er hat es damals vor dem ORF versprochen, aber nicht gehalten. Deshalb habe ich die Sache im Vorjahr selber in Angriff genommen.

Trotz aller Hürden und Probleme.
BRIGITTE HÖFERT: Dass es so viele Hürden geben kann, hätte ich mir nicht träumen lassen.
MICHAEL MOOSLECHNER: Und das, obwohl Frau Höfert den Versuch mit einem ganz konkreten Projekt unternommen hatte. Alles war bereits ausgearbeitet und auf die Situation abgestimmt.

Also kein wages: "Ich hätte gerne…"?
MICHAEL MOOSLECHNER: Nein, es war kein einfaches Ansuchen, sondern wie gesagt, ein konkreter Plan. Es war sogar klar vereinbart, dass der Gemeinde Goldegg keinerlei Kosten entstehen. Wir wollten nur den Platz im Schlosshof.

Also könnte man es überspitzt als eine zusätzliche "Attraktion" für die Gemeinde bezeichnen. Welche Argumente gab es gegen den Gedenkstein?
BRIGITTE HÖFERT: Es gab keinerlei stichhaltige Argumente dagegen.
MICHAEL MOOSLECHNER: Die Verantwortlichen haben sich immer auf 'irgendwen der irgendwas gesagt hat' rausgeredet. Es ist sicher für eine Gemeinde nicht einfach, für jemanden der von außen kommt und etwas Konkretes vorschlägt "ja" zu sagen. Ein Argument war, dass das Ganze ja in Goldegg-Weng stattgefunden hat, und der Schlosshof – den der Künstler als Ort der Verlegung vorgeschlagen hat – nicht der richtige Ort sei.

Warum gerade dort?
MICHAEL MOOSLECHNER: Weil die geplante schlichte Tafel nur in eine zentrale Lage passt. Am Böndlsee, wo die Kämpfe stattgefunden haben, hätte es ein aufragendes Symbol sein müssen. Da war der Künstler allerdings zu Recht dagegen. Er wollte etwas Schlichtes erschaffen.

Waren sie so strikt, dass sie sagen: "so oder gar nicht"?
MICHAEL MOOSLECHNER: Nein, wir waren auf jeden Fall diskussionsbereit. Aber nachdem die Gemeinde selbst nie etwas gemacht hat, könnte sie ja auch froh sein, dass jemand mit einem konkreten Vorschlag kommt.

Gab es vorab Gespräche mit der Bevölkerung?
MICHAEL MOOSLECHNER: Das wurde uns von Seiten des Kulturvereins und der Gemeinde-Politik erklärt, ja. Selbige haben aber nie stattgefunden. Deshalb ist es ziemlich unglaubwürdig, dass das der Grund sein soll, dass der Gedenkstein nicht im Schlosshof verlegt werden kann.

Als wurde das Projekt vom Kulturverein und der Politik abgewürgt?
MICHAEL MOOSLECHNER: Der damalige Bürgermeister hat die heiße Kartoffel dem Kulturverein zugeschoben. Der Kulturverein war dann eigentlich unser Partner für die Realisierung, weil der Bürgermeister forderte, dass der Kulturverein den Vorschlag in die Gemeindestube einbringen muss. Nicht jemand von außen. Der Verein ist zu unserer Überraschung dann zu Ostern abgesprungen.

Wieso hat der "Partner" sie dann verlassen?
MICHAEL MOOSLECHNER: Mit dem Argument, ein Gedenkstein wäre nicht durchführbar. Es muss zuerst ausdiskutiert werden. Der Obmann des Kulturvereins hat auch immer wieder gesagt, dass es Nachfahren der Opfer gibt, nicht dass ihre Eltern auf einer Tafel gemeinsam mit den Deserteuren stehen wollen. Denn auf dieser Tafel sollen alle stehen, die noch im Krieg, also in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Sturm auf Goldegg, zu Tode gekommen sind, also die Deserteure, Unterstützer und Mitwissende.

Warum wollen diese Menschen nicht, dass ihre Angehörigen mit den Deserteuren auf der Tafel stehen?
MICHAEL MOOSLECHNER: Weil diese Menschen glauben, dass die Deserteure schuld daran sind, dass ihre Eltern im KZ gelandet sind. Sie machen die „Ungehorsamen“ für die Verfolgung ihrer Angehörigen verantwortlich und nicht den NS-Terror gegen die eigene Bevölkerung.

Immerhin ist es ein Stück heimischer, oder sogar nationaler Geschichte.
MICHAEL MOOSLECHNER: Der eigentliche Schock für mich war, dass man mit meiner Generation – die die lange nach Kriegsende geboren wurde – auf keinen grünen Zweig kommt. Ich weiß, dass Geschichts-Politik immer ein Generationen-Aufgabe ist. Einfach weil vor allem die Kriegsheimkehrer mit den Deserteuren ein großes lebensgeschichtliches Problem hatten.

Inwiefern?
MICHAEL MOOSLECHNER: Die Heimkehrer dachten, sie waren in der Schlacht, und die Deserteure ließen es sich daheim gut gehen. Obwohl es sicherlich nicht so war.

Für Sie Frau Höfert, als direkter Nachfahre, muss diese "Ignoranz" schrecklich gewesen sein, oder?
BRIGITTE HÖFERT: Ich finde, die Deserteure waren genauso Opfer des Regimes, genauso wie diejenigen die in der Schlacht oder in den KZ oder vor Ort umgekommen sind. Man soll zwischen Opfer und Opfer nicht unterscheiden. Aber vor allem kann ich nicht begreifen, dass 70 Jahre lang überhaupt nichts geschehen ist, und dass in diesem Punkt keine Weiterbildung passiert ist.

Obwohl in Österreich das Thema NS-Zeit bereits relativ weit aufgearbeitet wurde.
MICHAEL MOOSLECHNER: Stimmt, das kann man schon so sagen. Umso verwunderlicher ist es ja, dass in Goldegg teils noch immer im Zustand der 50er Jahre ist, wo man über dieses Thema nicht offen spricht und verkrampft ist. Es ist doch nur anständig, dass wir unseren Toten einen Platz einräumen. Deshalb verwundert es sehr viele außerhalb von Goldegg, dass es noch keinen Platz gibt, dieser Toten zu gedenken.

Nach all den Jahren hat man sich nun auf die von Ihnen geforderte Gedenktafel geeinigt.
BRIGITTE HÖFERT: Das haben wir nur der Gebietskrankenkasse zu verdanken.

Herr Mooslechner, Sie haben es als "Asyl" bezeichnet. Ist diese Lösung zufriedenstellend?
MICHAEL MOOSLECHNER: Kurzfristig ist es auf jeden Fall zufriedenstellend. Vor allem, dass es jemanden gibt, der die Sensibilität hat und erkennt, dass eine Gedenktafel notwendig ist. Und vor allem, dass der Konflikt nun etwas beruhigt ist. Langfristig wird man es der Gemeinde nicht ersparen können, dass sie zu ihren eigenen Leuten, die Opfer geworden sind, steht.

Für Sie ist das Bestreben in den Schlosshof zu kommen nicht beendet?
BRIGITTE HÖFERT: Inzwischen bin ich einmal zufrieden, denn ich bin mit meinen Nerven und meiner Kraft am Ende. Ohne das Angebot der GKK wäre die Sache zerflossen. Kulturverein und Gemeinde waren dagegen, mit wem hätten wir noch weiterkämpfen sollen?

Aber das Konzept zu ändern und doch an den Böndlsee zu gehen, war undenkbar?
BRIGITTE HÖFERT: Es wäre eben wieder ein Beginn bei der Stunde Null gewesen. Außerdem hätte man auch hier wieder Haare in der Suppe gefunden. Für mich hat sich herauskristallisiert, dass eine Gedenkstätte grundsätzlich nicht erwünscht ist.
MICHAEL MOOSLECHNER: Am See hätte auch etwas Großes entstehen müssen. Eine einfache Bodenplatte funktioniert dort nicht.

Wie kamen Sie eigentlich auf eine Bodenplatte?
MICHAEL MOOSLECHNER: Wir haben uns wochenlang überlegt, was wir vorschlagen sollten. Wenn man etwas Aufragendes macht, kommt man leicht in ein unangemessenes Pathos hinein, das die Deserteure zu Helden stilisiert. Das wollten wir nicht. Das stilisiert die Deserteure zu Helden. Auch der Künstler (Bildhauer Anton Thuswaldner) war auch der Meinung, dass dies Menschen waren, die sich verweigert haben in den Krieg zu ziehen. Menschen die zurückhaltend agieren wollten. Deshalb die schlichte Bodenplatte, etwas stark Defensives. Denkmäler die aufragen, sind immer Symbole der Macht. Das wollten weder der Künstler, noch wir.

Gibt es für die Toten von damals eigentlich Grabstätten?
MICHAEL MOOSLECHNER: Nein, die NS-Herrschaft hat solche Menschen immer in Massengräbern fern der Heimat bestattet. So wollte man sie auslöschen und Erinnerung verhindern. Unsere Grabplatte soll eben auch eine symbolische Bestattungs-Stätte sein.

Das bedeutet, Frau Höfert, Sie haben kein Grab für Ihren Vater?
BRIGITTE HÖFERT: Nein, er ist erhängt worden, und dann verbrannt. Ich war in Mauthausen, da sind 110.000 Menschen umgekommen. Da hätten sie nicht mit Grab-Bestattungen anfangen können. Es gibt weder eine Asche noch sonst etwas. Nur die Sterbe-Urkunde.
MICHAEL MOOSLECHNER: Die Platte wird auch ein Ort sein, zu dem die Enkelkinder zu ihrem Opa gehen können. Das ist ja auch der Sinn eines Denkmals.

Also soll ihre Tafel auch den Sinn eines "Friedhofes" haben?
BRIGITTE HÖFERT: Auf jeden Fall. Es ist ja auch Teil unserer Kultur, dass wir den Toten gedenken.
MICHAEL MOOSLECHNER: Eine Gedenkstätte hat auch noch einen zweiten Sinn – dem Tod und dem Leiden einen Sinn zu geben.

Welchen "Sinn" hatten die Deserteure?
MICHAEL MOOSLECHNER: Sie haben damals Sand ins Getriebe der Militär-Maschinerie gebracht, und waren dadurch ein wichtiger Bestandteil der Befreiung Österreichs. Jeder der diese "Opfer-Rolle" übernehmen hat müssen, braucht eine Sinngebung seiner Tat. Und das ist in Goldegg ausgeblieben. Niemand hat hier gesagt, dass ihr Leiden einen Sinn gehabt hat. Nämlich für ein freies Österreich, für eine Verkürzung des Krieges, und dadurch natürlich auch eine Verkürzung der KZs und ihrer Gräuel. Das ist wichtig und muss immer dazugesagt werden. Jeder Tag, an dem der Krieg früher zu Ende war, war auch der Rauchfang von Auschwitz früher aus. Das wird oft vergessen.

Haben andere Tote diesen "Sinn"?
MICHAEL MOOSLECHNER: Ja, wären die Goldegger-Deserteure Angehörige der Kirche, oder einer sozialistischen- oder kommunistischen Partei, oder sonst irgendetwas, hätten sie nach dem Krieg bald eine Gedenkstätte erhalten, die den Sinn ihres Todes widerspiegelt. Solche Vereinigungen haben NS-Opfer ja quasi adoptiert, um den Nachfahren zu sagen: "Schau, der Opa ist für einen guten Zweck gestorben." Genau so sehe ich auch das Denkmal von Frau Höfert.

Gab es auch Seitens der Bevölkerung Gegenwind?
BRIGITTE HÖFERT: Ja, aber erst seit dem es um ein sichtbares Zeichen geht. Seit 2008 gibt es jährlich eine Messe für die Deserteure, immer um den 2. Juli, den Jahrestag, herum. Da gab es niemals irgendeine Form des Protestes. Eben erst seit wir die Platte errichten wollen. Es ist unglaublich, welch ein Sumpf über mich und meinen Vater ausgeleert wurde.
MICHAEL MOOSLECHNER: Die Verantwortlichen haben es verabsäumt, die Deserteure nach aktuellem Kenntnisstand zu verteidigen und die Bevölkerung aufzuklären.

Es gab aber auch gegenteilig denkende Familien.
BRIGITTE HÖFERT: Ich habe es wirklich vermieden nach Goldegg zu fahren.
MICHAEL MOOSLECHNER: Es gab schon auch Menschen, die aufgestanden sind und sagten, dass sie stolz seien, dass Goldegg Wiederstand leistete. Aber eben nur wenige.
BRIGITTE HÖFERT: Ich frage mich oft ob die Mütter der Hetzer, als diejenigen Mütter die auch im KZ waren, diesem Wiederstand zustimmen würden. Meine leibliche Mutter war wegen dieser Geschichte auch im KZ. Leider lebt sie nicht mehr, deshalb kann ich es nicht beurteilen. Ich glaube es aber nicht.

Die Platte dient aber auch als eine Art Mahnmal gegen den Krieg.
BRIGITTE HÖFERT: Um das geht es im Hintergrund natürlich auch. Die Jugend sollte hier aufgeklärt und miteinbezogen werden.
MICHAEL MOOSLECHNER: Der Trend im Schulunterricht geht ja dahin, auch außerhalb des Klassenzimmers Geschichte erfahrbar zu machen. Und solche Denkmäler beleben den Geschichtsunterricht. Der Gedenkstein steht auch nicht isoliert da, es wird Broschüren geben, ein Informationstafel, eine eigene Internetseite. Die Platte ist nur ein kleiner Teil des Projekts "Gedenken an Goldegg". Die Tafel aus Stein ist das Rückgrat des Projekts.

Glauben Sie, dass Kritik aufkommt wenn die Platte "eröffnet" wird?

MICHAEL MOOSLECHNER: Wir befürchten das Schlimmste, und hoffen das Beste. Aber wir haben schon Sorgen.
BRIGITTE HÖFERT: Leider müssen wir mit allem rechnen.

Wie groß ist nun die Erleichterung, dass es nun einen Platz gibt?
BRIGITTE HÖFERT: Natürlich sehr groß, weil jede sichtbare Erinnerung bringt die Leute wieder ins Gedächtnis zurück. Wie gesagt, es gibt Friedhöfe mit Namen, es gibt Kriegerdenkmäler mit Namen, und warum sollen Deserteure ausgeschlossen werden. Hoffentlich ist es auch ein kleiner Beitrag den internationalen Rechts-Ruck anzuhalten. Denken Sie nur an die Beschmierung von sogenannten „Stolpersteinen“ in Salzburg.

Wie sehen Sie die Deserteurs-Aufarbeitung national gesehen?
MICHAEL MOOSLECHNER: Am Ballhausplatz in Wien wird nun auch ein Denkmal für Deserteure errichtet. Das in Goldegg ist aber meines Wissens das erste in Österreich. Es geht also voran.

Bestärkt Sie dieses Wissen?
BRIGITTE HÖFERT: Ungemein, ich weiß jetzt, dass mein Verlangen zum genau richtigen Zeitpunkt war.

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

1 Kommentar

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Anzeige
Foto: Stefan Schubert

Traumjob gefällig?
Wir suchen Physios mit Herz und Hirn für unser Team!

Ein inspirierendes Arbeitsumfeld? Check. Ein innovatives Arbeitsklima? Check. Spannende Fortbildungsmöglichkeiten? Check. Attraktive Benefits? Check. Viele nette Kolleginnen und Kollegen? Doppelcheck. Das Alpentherme Gastein Gesundheitszentrum liegt in der Mitte des Gasteinertals – genau gesagt im malerischen Bad Hofgastein. Wir arbeiten als private Krankenanstalt in Form eines selbständigen Ambulatoriums für Kur, Rehabilitation und Sportmedizin. Mit einem vielfältigen Therapie- und...

  • Salzburg
  • Pongau
  • Magazin RegionalMedien Salzburg

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Salzburg auf MeinBezirk.at/Salzburg

Neuigkeiten aus dem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

Newsletter abonnieren und wöchentlich lokale Infos bekommen

MeinBezirk auf Facebook: Salzburg.MeinBezirk.at

MeinBezirk auf Instagram: @salzburg.meinbezirk.at

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.