Gesunder Bestand, geringe Schäden – Prof. Walter Arnold im Interview über seine Forschungsarbeit am FIWI in Wien

Prof. Walter Arnold, Vorstand FIWI (Veterinärmedizinische Universität Wien) | Foto: Walter Arnold
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Jagd in Tirol: Warum ist Ihrer Meinung nach die Überwinterung bzw. Fütterung des Schalenwildes ein immer wieder diskutiertes Thema innerhalb der Jägerschaft bzw. auch mit anderen Interessensgruppen?
Walter Arnold: Die Winterfütterung ist aus wildökologischer Sicht nur dort gerechtfertigt, wo durch die Bedingungen der Kulturlandschaft Winterlebensräume verlorengingen oder stark beeinträchtigt sind. Die Verbesserung unzureichender Äsungsbedingungen und die Wildlenkung durch Fütterung können dazu beitragen, Wildschäden zu reduzieren. Die konkreten örtlichen Bedingungen richtig einzuschätzen, ist hierbei eine notwendige Voraussetzung.

JIT: Beruhen diese Diskussionen auf Missverständnissen?
Walter Arnold: Diese Diskussionen ergeben sich meistens aus unterschiedlichen Interessenslagen. Vielfach ist auch die eigentliche Motivationslage anders, als in der Diskussion vorgegeben. Mit einer Objektivierung und Reduktion auf wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse können viele dieser Kontroversen entschärft werden.

JIT: In welcher Form passt sich unser Schalenwild an die extremen Winterbedingungen in den Alpen an?
Walter Arnold:
Der wichtigste Punkt ist eine Reduktion der Stoffwechselaktivität und damit des Nahrungsbedarfes im Winter auf weniger als die Hälfte des Sommerniveaus. Das gelingt den Tieren durch ein Zurückfahren des wichtigsten Energieverbrauchers, der inneren Wärmeproduktion, die erforderlich ist, um eine hohe Körpertemperatur in der Kälte aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis des Stoffwechsels auf Sparflamme ist eine geringere Körpertemperatur im Winter, die in den äußeren Körperteilen in kalten Winternächten bis in den einstelligen Bereich sinken kann.

JIT: Gibt es zwischen den einzelnen Schalenwildarten Unterschiede bzgl. der Winteranpassung?
Walter Arnold:
Natürlich, entsprechend den Erfordernissen des Lebensraumes. Wir finden die Winteranpassungen am ausgeprägtesten beim Steinwild, gefolgt von Rotwild und Gams. Am wenigsten ausgeprägt ist die winterliche Reduktion des Stoffwechsels beim Reh.

JIT: Inwiefern haben Wildruheflächen positive Auswirkungen auf den Stoffwechsel bzw. die winterliche Anpassungsstrategie unserer Schalenwildarten?
Walter Arnold:
Die mit kalten Extremitäten verbundene Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit wird das Schalenwild als typisches Fluchttier nur dann riskieren, wenn es sich sehr sicher fühlt. Ruhe ist daher die wichtigste Voraussetzung dafür, dass das Wild seine physiologischen Möglichkeiten des Energiesparens auch in vollem Umfang verwirklichen wird. Das beweisen die Erfolge der Schweizer Kollegen in Graubünden, die seit vielen Jahren zahlreiche kleine, flächendeckend verteilte Wildruheflächen mit einem Betretungsverbot vom 1. Dezember bis zum 30. April realisiert haben.

JIT: Welche Möglichkeiten hat der Jäger, um auf den Stoffwechsel und somit den Energiehaushalt der Tiere einzugehen?
Walter Arnold:
Der Jäger muss sich bewusst sein, dass die Jagd selbst die wohl massivste Störwirkung hat. Die erforderliche Reduktion des Wildbestandes muss daher spätestens bis Weihnachten abgeschlossen sein. Danach hat die Jagd zu ruhen, bis zum Beginn der nächsten Vegetationsperiode, wenn wieder gute Äsung in der erforderlicher Menge vorhanden ist. Werden im Winter hohe Wildschäden festgestellt, ist es mancherorts gängige Praxis, sofort in den Wildbestand einzugreifen und das mitunter bis in den Februar hinein. Das führt zu einer weiteren Beunruhigung und daher ist es wahrscheinlich, dass dadurch viel mehr Wildschäden verursacht als verhindert werden. Aufgrund unserer umfangreichen Messungen zur winterlichen Stoffwechselaktivität wissen wir, dass Störungen des Wildes den Energiebedarf in der kalten Jahreszeit um ein Drittel erhöhen können.

JIT: Welche sind die Indikatoren hinsichtlich der Fütterung von Schalenwild, die verhindern sollen, dass es zu Wildschäden kommt?
Walter Arnold:
Neben der Lenkung des Wildes weg von schadenanfälligen Forstkulturen ist es die Vorlage artgerechter und vor allem saisontypischer Futtermittel. Das Wild hat sich über eine äonenlange Evolution an die Winterbedingungen auch in Bezug auf Eigenschaften des Verdauungstraktes angepasst. Die spärliche und nährstoffarme Winternahrung wird viel intensiver verdaut. Typische Sommeräsung verliert aber nicht ihre Attraktivität, auch wenn ihre Verdauung dem Wild im Winter Probleme bereitet. Deshalb ist von der Vorlage von leicht verdaulichem Kraftfutter, insbesondere eiweißreichem Futter, dringend abzuraten.

JIT: Können Wildruheflächen als geeignetes Instrument bezeichnet werden, um Wildschäden zu reduzieren oder gar ganz zu verhindern, und wenn ja, warum?
Walter Arnold:
Ein ganz klares Ja – aus den oben bereits ausgeführten Gründen. Vor 25 Jahren wurden in Graubünden die ersten Wildruheflächen eingeführt – mittlerweile sind es 230. Im Laufe der Zeit sind die Aufwendungen, die der Kanton für Wildschäden leisten muss, kontinuierlich zurückgegangen. Sie sind heute nur noch halb so hoch wie vor ca. 30 Jahren, trotz gestiegener Bestände z.B. beim Rotwild.

JIT: Wer profitiert von Ihren Forschungsergebnissen?
Walter Arnold:
Wenn sie umgesetzt werden, alle Beteiligten, das Wild, der Wald, die Jagd, die Forstwirtschaft, der Naturschutz und nicht zuletzt die naturliebende Bevölkerung.

JIT: Wo liegt die Herausforderung Ihres Forschungsschwerpunktes?
Walter Arnold:
Wildtiere sind nicht einfach zu untersuchen. Viele Untersuchungsmethoden stellen selbst eine Störung dar. Vermutlich ist das der Grund, warum die erstaunlichen Winteranpassungen des Wildes so lange unentdeckt blieben. Die üblichen Rahmenbedingungen für die erforderlichen Messungen, d.h. Haltung von Tieren in kleinen Gehegen oder gar im Stall, verhinderten offenbar, dass die Tiere zeigten, was sie wirklich können. Erst mit der in unserem Institut entwickelten Telemetrietechnik, die mit Miniatursendern Verhalten und physiologische Werte über bis zu zwei Jahre kontinuierlich erfasst, ohne dass das Wild dadurch gestört wird, und die Daten an die Forscher sendet, konnten die entscheidenden Erkenntnisgewinne erzielt werden.

JIT: Welche Erkenntnisse anderer Institute fließen in Ihre Arbeit mit ein?
Walter Arnold:
Die moderne Wissenschaft ist international und gut vernetzt. Wir kooperieren weltweit mit Kollegen, die ähnliche Fragestellungen bearbeiten, natürlich oft an ganz anderen Arten. Auch die Interdisziplinarität ist ein wesentliches Element unserer Arbeit. Sie spiegelt sich nicht nur in der Kooperation mit Instituten anderer Fachrichtungen wider, sondern wird auch im eigenen Haus gelebt. Am Forschungsinsitut für Wildtierkunde und Ökologie arbeiten Wildbiologen, Veterinärmediziner, Chemiker, Forstwissenschaftler, Techniker und Molekulargenetiker unter einem Dach eng zusammen.

JIT: Wo finden sich Ihre Forschungserkenntnisse im Wildtiermanagement wieder?
Walter Arnold:
Am prominentesten in den Jagdgesetzen und -verordnungen. So beruht etwa die in vielen Bundesländern etablierte wildökologische Raumplanung auf Forschungsergebnissen des FIWI. Zudem wurden viele der bei Behörden oder Jagdverbänden tätigen Wildbiologen bei uns ausgebildet.

JIT: Wer kann die Erkenntnisse Ihrer Forschungsarbeit einsehen?
Walter Arnold:
Jeder. Unsere Forschungsergebnisse sind öffentliches Gut und wir sehen es als unsere Aufgabe an, sie einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Davor steht aber die strenge Qualitätskontrolle. Wir veröffentlichen unsere Resultate zuerst immer in international anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften. Dies ist nur nach erfolgreichem Durchlaufen einer sehr kritischen Begutachtung durch Fachkollegen möglich. Der zweite Schritt ist dann die populärwissenschaftliche Aufbereitung und Verbreitung in Printmedien, Jagdzeitschriften, im Hörfunk und Fernsehen.

Über Prof. Walter Arnold
Vorstand FIWI (Veterinärmedizinische Universität Wien)
Die wissenschaftliche Karriere von O.Univ.-Prof. Dr.rer.nat. Walter Arnold hat mit der Grundlagenforschung zur Populationsdynamik und zum Sozialverhalten des Alpenmurmeltieres begonnen. Es hat sich gezeigt, dass seine Ergebnisse auch große praktische Bedeutung haben sowohl für die Bejagung des Murmeltieres als auch für den Schutz des Lebensraumes. Durch seine wissenschaftliche Arbeit in der freien Wildbahn hatte Prof. Arnold auch intensiven Kontakt zu Jägern, Förstern und Naturschützern. Dabei wurde ihm klar, dass viele Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden, obwohl das dafür eigentlich erforderliche Grundlagenwissen über die betreffende Wildart unzureichend ist. Dies war für ihn eine wichtige Motivation, um seine weitere Karriere der Forschung im Bereich Wildtierkunde und Ökologie zu widmen.

www.vetmeduni.ac.at

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