102 Jahre Haydn Kino
Filmriss im dritten Reich
Seit 1917 gibt es das Haydn Kino schon. Die bewegte Geschichte eines familiengeführten Lichtspieltheaters.
MARIAHILF. Ursprünglich gehörte das Haydn Kino der jüdischen Familie Honig, die während des Zweiten Weltkriegs im Zuge der Arisierung zwangsenteignet wurde und dadurch das Etablissement verlor, weiß der jetzige Betreiber des Lichtspielhauses auf der Mariahilfer Straße, Herbert Dörfler. "Die Familie wurde deportiert und starb in den Konzentrationslagern des national-sozialistischen Regimes. Bis auf einen ihrer Söhne, Otto Honig", erzählt Dörfler.
Honig verschwand 1940 in den Wirren des Krieges spurlos. Herbert Dörfler, damals noch ein Kind, wurde wie so viele andere in die Schweiz geschickt, um den Gräueltaten der Nationalsozialisten zu entgehen. Fortan lebte er bei seiner Tante Ida in Münsingen, im Schweizer Kanton Bern.
Treffpunkt Schweiz
Bei seiner Ankunft wurde er von einem in sich gekehrten, weinerlich wirkenden Mann, am Bahnhof empfangen. Das war niemand geringerer als Otto Honig. Tante Ida hat ihn aus einem Anhaltelager zu sich geholt und gab ihm ein lebenswertes zu Hause. 1947 erhielt Honig, als einziger Überlebender seiner Familie das Haydn Kino zurück, allerdings nur für den Kinobetrieb, die Konzession blieb ihm verwehrt. Diese ging an eine Gesellschaft, welche der Gemeinde sehr nahe stand. "Als Otto Honig 1951 überraschend verstarb, bedachte er meine Tante als Alleinerbin der Liegenschaft, die das Kino zwar weiterhin betrieb, allerdings ohne Aussicht auf die begehrte Konzession", erzählt Dörfler.
Bei einem Besuch seiner Tante im Jahr 1956, schlug sie ihm vor, die Geschäftsführung des Haydn Kino in Wien zu übernehmen. Er erbat sich Bedenkzeit, sagte schlußendlich zu und wurde am 17. Oktober 1957 als neuer Geschäftsführer bestellt. "Der Anfang war schwierig, ich musste mich erst einarbeiten, kannte das Metier nicht und erahnte nicht im entferntesten die Schwierigkeiten mit der öffentlichen Hand", erinnert sich Dörfler.
Fünf Bürgermeister verwehrten auch ihm die so wichtige Konzession – bis er auf den damaligen Bürgermeister Helmut Zilk traf, der ihm, in seiner unvergleichlich bürgernahen Art, die langersehnte Konzession zusagte. Vielen Kinobesitzern widerfuhr nach dem Krieg großes Unrecht, darunter wurde nun ein Schlussstrich gezogen und die Betreiber konnten fortan endlich gewinnbringend wirtschaften.
Seit 24 Jahren englische Filme
Als immer mehr kleine Betriebe aufgrund der wachsenden Konkurrenz der Kinocenter schließen mussten, fasste Dörfler 1995 den Entschluss, ausschließlich englischsprachige Filme zu zeigen. Der Aufschwung nahm seinen Lauf und bis heute ist das Haydn Kino die erste Adresse angelsächsischer Filmkunst.
"Das Kino stand für mich immer im Vordergrund, Geld war mir nie wichtig. Vielmehr der Umstand, dass so eine schreckliche Geschichte, wie sie der Familie Honig widerfahren ist, nie wieder passieren darf", mahnt Dörfler eindringlich.
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