„Für uns heißt es: Zahlen oder sterben“ – eine Reportage über Flüchtlinge im Salzkammergut

Arbeiten was gerade anfällt – Freitagvormittag mit Roman Sammer (re.) vom Ischler Bauhof.
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  • hochgeladen von Thomas Kramesberger

SALZKAMMERGUT. Zwei Mal sprengten sie sein Auto in die Luft. Ali* kam nur knapp mit dem Leben davon. Ali ist Mitte 40, verheiratet, zweifacher Vater, Jurist und war 15 Jahre lang im syrischen Außenministerium tätig. Sein Job führte ihn zu internationalen Konferenzen – nach Schweden, Frankreich, Italien. Das war früher. Heute lebt er mit 50 weiteren Flüchtlingen in der ehemaligen Sarsteinerstiftung in Bad Ischl und wartet auf den Ausgang seines Asylverfahrens.

Ali, der Flüchtling, machte sich im September 2014 alleine auf den Weg nach Europa. Ein Ausweg in letzter Minute. Die Schergen des syrischen Diktators Bashar al Assad standen vor seiner Tür. Ali sollte für sie in den Krieg ziehen. Aber Ali ist kein Soldat. Er ist Christ. In einem muslimischen Land ohnehin kein leichtes Los. „Zahlen oder sterben – vor dieser Wahl stehen die Leute dort, wo der IS herrscht“, sagt Ali. Als es nicht mehr ging, entschieden sich Ali und seine Frau: Er muss flüchten und sie nachholen. Die Familie kratzte das Ersparte zusammen und Ali kaufte sich ein Flugticket – zunächst nach Russland. Von dort aus wollte er es nach Europa schaffen. Zwei Monate war er unterwegs – gemeinsam mit einem befreundeten Tierarzt schlug er sich bis nach Wien durch. Dort stellte er einen Asylantrag.

Seine Frau und seine Kinder – der sechsjährige Jussuf* und die dreijährige Mala* – blieben in Damaskus. Sie sind es, die ihn nachts wach halten. Sie sind es, die ihn jede Sekunde beschäftigen: „Ich habe Angst – Angst, dass ich meine Familie nicht mehr sehe. Wie ist es zu Hause, was geht vor? Geht es meiner Familie gut? Diese Fragen gehen mir ständig durch den Kopf“, sagt Ali. Seine Geschichte ist kein Einzelfall, sie ist Normalität. Hundertausende sind auf der Flucht vor Assad, vor Boko Haram, vor den Mördern des IS, vor den todbringenden Al-Shabab-Milzen. Vor Krieg, Tod, Zerstörung und Ausweglosigkeit.
Mit der ganzen Familie den Weg von Somalia oder Syrien auf sich zu nehmen kommt oft einem Todesurteil gleich. Männer versuchen es deswegen zumeist alleine – sie hoffen, erstmal in Europa angekommen, ihre Familien nachholen zu können.

„Jeder kann Opfer werden“

Das hofft auch Garaad. Der Somalier ist Ende dreißig und spricht perfekt Englisch. Er unterrichtete in seiner Heimat, einer Stadt im Süden Somalias in einer Privatschule. Bis die Al Shabaab-Milizen kamen. Sie brachten die Stadt unter ihre Kontrolle und führten die Scharia ein. Fremdsprachen waren verboten, ebenso wie Zigaretten, Fußball und das Tanzen auf Hochzeiten. Garaad verlor seine Arbeit. Seine Familie wurde bedroht, er musste fliehen.

„Es ist egal welcher Religion man angehört. Jeder kann ein Opfer werden“, sagt Garaad. Auf der Flucht wurden er und seine Familie getrennt. Seine Frau schlug sich mit den beiden Kindern bis nach Uganda durch. Dort lebt sie in einem Flüchtlingslager. Garaad schaffte es nach Europa – seit zwei Monaten lebt er in Bad Goisern. Sie schreiben sich manchmal, telefonieren vereinzelt. Aber die Kommunikation ist schwierig. „Ich hoffe, dass es meiner Familie gut geht und ich sie bald wiedersehe. Das ist das Wichtigste.“,

Nach der Flucht folgt bei jenen, die es schaffen, eine Zeit der Passivität. Das Warten auf den Asylbescheid dauert oft Monate – vereinzelt gar ein Jahr oder länger. Eine lange Zeit, in der den Flüchtlingen eine Tagesstruktur fehlt. Zwar setzen die Betreuer der Volkshilfe auf Deutschkurse und Gespräche – einen Tagesablauf brächte wohl aber nur eine "richtige" Arbeit. In Österreich ist das bislang generell verboten – nur Freitags dürfen in Bad Ischl jeweils drei Flüchtlinge beim städtischen Bauhof mitarbeiten. Sie bekommen dafür 5 Euro – pro Tag.

Arbeiten, Geld verdienen und Studieren

„Wir freuen uns, wenn wir mitarbeiten dürfen“, sagt Mohammed*. Es ist Freitagfrüh, 7 Uhr, es regnet. Die Schneefallgrenze ist bis auf knapp 600 Meter Seehöhe abgesunken. Mohammed, Abdul* und Ali* sind zur Freitagsschicht bei den Gärtnern im städtischen Bauhof eingeteilt. Unkrautjäten steht am Plan – die Esplanade soll bis zur Gartenschau glänzen.

Mit ihnen unterwegs ist diesen Freitag Roman Sammer, der Bad Ischler ist seit 30 Jahren Gärtner bei der Stadtgemeinde. „Sie sind schon eine Hilfe für uns. Viele Arbeiten gehen mit mehreren Personen einfach schneller“, sagt Sammer. Dennoch schwingt in seinen Wortes etwas Wehmut mit. Oft arbeiten Gärtner und Flüchtlinge nur nebeneinander – das Gegenüber kennenzulernen scheitert schon an der Sprachbarriere. Viele Flüchtlinge sprechen, ebenso wie die Gärtner, kein Englisch. Und die Deutschkurse, die die Volkshilfe mit den Flüchtlingen abspult, haben für viele gerade erst begonnen. Eine neue Sprache zu lernen braucht Zeit. Hinzu kommt, dass immer nur drei Flüchtlinge freitags im Bauhof mithelfen: Bei insgesamt 100 Flüchtlingen in Bad Ischl lernt man den Einzelnen so nicht wirklich kennen.

Mohammed und Abdul stammen aus Damaskus, Hakim kommt aus Homs. Diese Stadt gibt es heute nicht mehr. Nur mehr Ruinen sind übriggeblieben von den Kämpfen zwischen Regierungstruppen, IS und dem syrischen Widerstand.
Hakim zupft mit einer Harke das Unkraut rund um die Kaiserlinden auf der Esplanade weg. Er war Zimmerer in seiner Heimat, hat eine Frau und drei Kinder. Sie sind in den Libanon geflohen. Trotz des Nieselregens arbeiten die Männer gerne mit: „Das Wetter ist fast wie zu Hause“, schmunzelt Hakim. Schließlich habe man auch in Syrien hohe Berge, meint der 37-Jährige Mohammed, der bis zu seiner Flucht in einem Restaurant arbeitete.

Dolmetscher der beiden Syrer ist der 29-jährige gewiefte BWL-Student Abdul. Er spricht Englisch und sein Studium sollte noch zwei Semester dauern. Jetzt ist er nicht sicher, ob er je wieder studieren kann: „Ich will nichts sehnlicher als meinen Master machen. Geht das in Österreich? Kann ich hier studieren?“, fragt er und nimmt einen Zug an seiner Zigarette.

Großteils hatten die Flüchtlinge zu Hause gute Jobs: Garaad der Englischlehrer, Ali der hohe Beamte, Hakim der Zimmerer und Mohammed der Koch. Dem österreichischen Sozialsystem wollen sie nicht auf der Tasche liegen: Fehlanzeige. „Wir möchten uns gerne selbst versorgen und arbeiten“, sind sich die drei einig. Derzeit leben sie von 5,50 Euro pro Tag.

„Sie nennen mich Mama“ – kleine Erfolge in Bad Goisern

Trotzdem haben viele Flüchtlinge ein Smartphone: Ein Widerspruch? Nein, nicht im Geringsten, meint Birgit Scheutz. Die Volkshilfe-Betreuerin leitete das Flüchtlingsheim in Bad Goisern. In der früheren San Marco-Stiftung leben heute 35 Asylwerber aus Afghanistan, Irak, Somalia und Syrien.
„Das Handy und der Pass sind oft das Einzige, was Flüchtlinge dabei haben, wenn Sie in Österreich ankommen. Bei uns hat ja mittlerweile auch jedes Kind ein Handy, warum sollte das in Syrien anders sein? Das sind ja normale Menschen, die gearbeitet haben und Geld verdienten, bis sie flüchten mussten. Die konnten sich schon ein Handy leisten“, sagt Scheutz. Außerdem bekomme die Volkshilfe immer wieder Handys gespendet, die dann an die Klienten weitergegeben werden. So viel zum Luxusgut Handy.

Wenn einer ihrer Schützlinge mal einen Ladebon braucht, um mit seiner Familie zu telefonieren, hilft Scheutz schon mal privat aus. Nicht umsonst wird die rührige Goisererin von ihren Klienten oft „Mama“ genannt. „Wahrscheinlich auch, weil ich schon so alt bin“, lacht Scheutz. Ihre Freizeit verbringt sie übrigens zumeist mit den Flüchtlingen. Nach Dienstschluss steht Deutschunterricht für Syrer am Programm, oder Geografie mit Afghanen, oder auch nur Gespräche. Hauptsache helfen.

Doch das ist nicht immer leicht: Ähnlich wie in anderen Gemeinden, war in Goisern die Aufregung groß, seit bekannt wurde, dass im Ort Flüchtlinge untergebracht werden. Auf Facebook entlud sich viel Hass, Vorurteile wurden geschürt. Erst als engagierte Goiserer öffentlich dagegen Stellung bezogen wurde es ruhiger. Auch eine Diskussions- und Kennenlernveranstaltung half. Doch die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen sind, genau wie anderswo, trotzdem noch da. Diese abzubauen dauert lange – leichter wird‘s oft erst, wenn Einheimische und Asylwerber persönlich Kontakt knüpfen.

Birgit Scheutz erzählt von einem Syrer. Ibrahim*, 16 Jahre alt, wurde im Bad Ischler Polytechnischen Lehrgang eingeschult. Gleich am ersten Tag fand er dort Freunde. Sie schenkten ihm Schreibsachen und Stifte und begleiteten ihn nach. Es sind die kleinen Erfolge, die in der Flüchtlingsbetreuung oft den Unterschied ausmachen.

So wie vor Kurzem, als in Goisern Fernseher und Radios für die Flüchtlinge gesammelt wurden. „Eine junge Frau hat via Facebook gefragt, warum Flüchtlinge überhaupt solchen Luxus brauchen“, erzählt Scheutz. Sie habe sich dann kurz geärgert, das gebe sie gern zu. Trotzdem wollte sie das Statement der jungen Dame nicht einfach so stehen lassen: „Ich habe zurückgeschrieben und ihr erklärt, dass es für die Flüchtlinge extrem wichtig ist unsere Sprache zu können. Da hilft es viel, wenn man nur zuhört – wie eben beim Fernsehen“, erzählt die Goisererin.
Und über die Rückantwort der jungen Frau freut sich Scheutz noch heute – denn die Nachricht lautete: „Endlich mal eine sinnvolle Erklärung“.

* (alle Namen und Berufe und teilweise auch die Herkunftsländer wurden zum Schutz der Flüchtlinge und deren Familien geändert, Anm.)

Die englische Übersetzung der Reportage finden Sie hier.
This report is also available in English – you can find it here.

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