Fast 300 Jahre altes Gebäudeensemble im 9. Bezirk wird abgerissen!
Noch im Mai 2014 werden in der Badgasse im Bezirksteil Lichtental (9. Bezirk) völlig unbeachtet von Medien, Bezirkspolitik und Denkmalamt zwei fast 300 Jahre alte Gebäude abgerissen und damit ein historisches Ensemble zerstört.
Das Ensemble steht im geschichtsträchtigen Bezirksteil Lichtental, der im 18. Jahrhundert nach Eröffnung einer Brauerei rasch besiedelt wurde. In Folge entwickelte sich die damals noch selbständige Vorstadt zu einem lebhaften Arbeiterviertel: Die Anzahl der Gaststätten war überdurchschnittlich hoch, im 19. Jahrhundert verfügte fast jedes zweite Lichtentaler Haus über eine Gastgewerbeberechtigung. Musikalisch wurde und wird Lichtental noch heute in zahlreichen Wienerliedern besungen. Jedes Haus besaß damals einen Hausnamen und ein Hauszeichen, die teilweise sehr humorvoll ausfielen, so gab es beispielsweise die Häuser "Zum goldenen Bierkrug" oder "Zum blauen Einhorn".
Verlust alter Bausubstanz durch Assanierung in den Fünfziger Jahren
Auch nach der Schließung der Brauerei Mitte des 19. Jahrhunderts blieben die typischen ein- bis zweistöckigen Vorstadthäuser bestehen, viele überlebten unbeschadet beide Weltkriege. Die Bausubstanz und -struktur im Lichtental 1950 ließe sich wohl gut mit der heute noch bestehenden am Spittelberg vergleichen.
Jedoch setzte ab den 1950er-Jahren nicht etwa eine sanfte Altstadtsanierung wie später am Spittelberg, sondern ein dem damaligen Zeitgeist entsprechendes "Assanierungsprogramm" ein, das darin bestand, zahlreiche alte Häuser aufgrund des kolportierten schlechten Bauzustands abzureißen und die freigewordenen Parzellen durch Gemeindebauten zu ersetzen. Ein Baublock wurde zum Lichtentaler Park umgestaltet.
Ensemble aus 1720 wird vernichtet
Dem Assanierungsprogramm fielen jedoch entgegen ursprünglicher Planungen nicht alle alten Gebäude zum Opfer. Manche Hausbesitzer zeigten sich resistent und verweigerten eine Ablöse ihres Besitzes. Heute spiegeln insgesamt nur noch acht im Lichtental verstreute Althäuser, die meisten davon in drei zusammenhängenden Ensembles, den architektonischen Charakters des Viertels um 1800 wider.
Umso tragischer ist es, dass eines dieser drei noch übrigen Ensembles mit Häusern aus dem frühen 18. Jahrhundert voraussichtlich noch im Mai abgetragen wird. Die Häuser Badgasse 27 ("Zum Blumenstock") und Badgasse 29 ("Zur heiligen Anna") wurden um 1720 erbaut. Die Gebäude überlebten den 2. Weltkrieg nicht unbeschadet, Badgasse 27 wies laut zeitgenössischer Literatur sogar schwere Bombenschäden auf. Beide wurden jedoch wieder instandgesetzt und entgingen der Abtragung im Rahmen der oben erwähnten Assanierung.
Im Jahr 2014, kurz vor seinem 300. Geburtstag, fällt das Ensemble nun schließlich doch der Abrissbirne zum Opfer. Es ist zu vermuten, dass die Eigentümerin der Liegenschaften, eine Immobilienverwertungsgesellschaft, an dieser Stelle neue Wohnbauten errichten möchte.
Kein Denkmalschutz und fehlende Schutzzone erleichtern Abriss
Die Häuser standen im Gegensatz zu anderen, weit weniger original erhaltenen Gebäuden der Umgebung, aus unerklärlichen Gründen nicht unter Denkmalschutz. Da auch keine Schutzzone besteht und die Gebäude zuletzt unbewohnt waren, ist eine Abtragung ohne größere Hürden möglich.
Da der Flächenwidmungsplan auf die historische Bausubstanz leider keine Rücksicht nimmt, darf befürchtet werden, daß der dort zu errichtende Neubau aus ästhetischer Sicht wenig zu bieten haben wird. Das straßentypische Ensemble der beiden niedrigen Häuser kann jedenfalls als für immer verloren angesehen werden.
Die Narrendattel vom Lichtental
Wenig bekannt ist, daß das Haus Badgasse 29 sogar eine lokale Berühmtheit beherbergte, die auch literarisch verarbeitet wurde: Im Erdgeschoß war 200 Jahre lang ein Wirtshaus untergebracht. Erster Wirt war Johann Lochner, der das damals noch nach dem Hausnamen "Zur heiligen Anna" benannte Gasthaus am 25. 6. 1800 eröffnete. Der Wirt zeichnete sich vor allem durch seinen groben Schmäh aus, so wurde jeder Gast mit Sprüchen wie „Na, is denn nirgends a Bradl z'haben als da bei mir?“ empfangen. Dies brachte ihm den Spitznamen "Narrendattel" ein, nach dem das Gasthaus in Folge auch benannt wurde. Lochners derber Humor verhalf ihm darüber hinaus aber auch zu großer Berühmtheit und erklecklichem Reichtum, er verstarb 1819 als mehrfacher Hausbesitzer. Ferdinand Raimund erwähnte das Lokal und seinen Wirten 1828 in seinem Stück "Gefesselte Phantasie". Erst 2000 wurde das klitzekleine Lokal, das nur aus einem Raum bestand, geschlossen.
Alt-Lichtentaler Überreste in Gefahr?
Die angehängten Bilder des Ensembles Badgasse 27 und 29 wurden im Februar 2014 aufgenommen. Mittlerweile sind die Gebäude schon entkernt und die Fenster wurden herausgerissen, bei Badgasse 29 fehlt schon das halbe Dach.
Für dieses Ensemble kommt somit leider jeder Rettungsversuch zu spät - es bleibt nur zu hoffen, daß die wenigen weiteren Reste an alter Bausubstanz im Lichtental, die noch bestehen, vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt werden können. Es gilt, die denkmalschutzrechtlichen Instrumente rechtzeitig einzusetzen, um weitere Abrisse von Gebäuden und Ensembles künftig zu verhindern.
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