Narrenturm
Mondsucht im Turm
Totenschädel, Skelette und Knochen findet man zur Genüge auf dem Gelände des heutigen Uni-Campus.
ALSERGRUND. Was auf den ersten Blick wie der perfekte Grusel-Schauplatz für einen Horrorfilm wirkt, ist eigentlich ein pathologisch-anatomisches Museum. Der 1784 fertiggestellte Narrenturm hat aber eine wichtige Bedeutung für die medizinische Geschichte Wiens.
Blickt man auf seine Vergangenheit zurück, macht sich schnell ein Zusammenhang zwischen dem Mond und den Geisteskranken bemerkbar. Und: Kaiser Joseph II. war von der alchemistischen Zahlenmystik angetan, was sich im Bau des Narrenturms widerspiegelt. Der fünfstöckige Rundbau hat einen Umfang von 66 Wiener Klaftern, ein historisches Längenmaß. Ein Klafter entspricht etwa 1,89 Meter. Pro Stockwerk gibt es 28 Zellen. 66 ist in der arabischen Tradition die Zahl Gottes, der die Kranken heilt. Die Zahl 28 ist unter anderem auf den Mondzyklus zurückzuführen. "Früher sprach man auch von Geisteskranken, die mondsüchtig waren", erklärt Eduard Winter, Verwalter der pathologisch-anatomischen Sammlung im Narrenturm und Elektrophysiker.
Für die Zeit des 18. Jahrhunderts war die Invalidenanstalt eigentlich medizinisch gesehen modern. Kaiser Joseph II. besichtigte damals in Frankreich verschiedene medizinische Einrichtungen. Davon inspiriert, ließ er schließlich 1784 den Narrenturm errichten. Darin wurden die Patienten je nach Krankheit in unterschiedlichen Etagen untergebracht. Das Erdgeschoß war etwa für Melancholiker vorgesehen und der erste Stock für Militärbedienstete mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Behandelt wurden sie mit der Epoche entsprechenden Methoden, darunter etwa die Brechkur zur Entgiftung des Magen-Darm-Trakts. Was einem Krankenhaus von heute entspricht, waren die Ausgehzeiten. Genauso wie heute durften die Patienten auch damals das Gebäude in der Nacht nicht verlassen. Am Tag konnten sie im Garten frische Luft schnappen.
Pathologisches Museum
Ob für öffentliche Führungen oder als Lehrzweck für Medizinstudenten: Heute ist der Narrenturm als pathologisch-anatomisches Museum für alle Interessierten zugänglich. Neben den acht Mitarbeitern gibt es auch Medizinstudenten, die freiwillig bei den Führungen im Narrenturm aushelfen. "Für die Studenten ist das eine gute Gelegenheit, zu üben", sagt Winter. Je nach ihrem Spezialgebiet erzählen sie dem internationalen Publikum etwas über die Sammlung. Insgesamt 50.000 Objekte sind im Narrenturm ausgestellt. Darunter findet man die verschiedensten historischen Sammlungsstücke wie Nachbildungen kranker Körperteile, Modelle von Fehlbildungen oder deformierte Organe.
ZUR SACHE
Besichtigung des Narrenturm am Uni Campus, Spitalgasse 2 für vier Euro:
Mittwoch 10 - 18 Uhr
Donnerstag 10 - 13 Uhr
Samstag 10 - 13 Uhr
Info: www.nhm-wien.at
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