Träum dein Wien
"Weg mit den Barrieren in den Köpfen der Menschen!"
Der Floridsdorfer Jürgen Schwingshandl träumt davon, dass Menschen nicht mehr über ihre Behinderung definiert werden.
FLORIDSDORF. Hätte der Floridsdorfer Jürgen Schwingshandl keinen Blindenstock in der Hand, würde man nicht gleich vermuten, dass er nicht sehen kann. Flink bewegt er sich durch die Straßen und beim Gespräch im Kaffeehaus greift er zielsicher zur Tasse.
Schwingshandl, vielen auch als "Yeti" bekannt, verlor bei einem Unfall im Alter von zweieinhalb Jahren den größten Teil seines Augenlichts und erblindete mit 35 Jahren vollständig.
Aufgewachsen in Deutschland, entdeckte er im Rahmen verschiedenster Berufe, die ihn unter anderem auch nach Wien führten, seine Liebe zur Stadt – und zu seiner Lebensgefährtin, mit der er zwei Kinder hat, um die er sich liebevoll kümmert. Hier engagiert er sich bei den Grünen Floridsdorf und radelt auf seinem Tandem durch Floridsdorf und die umliegende Umgebung. Und egal, wovon er erzählt, ein Wort ist dabei stets präsent: Barrieren. Diese möchte der leidenschaftliche Träumer bestenfalls aus den Köpfen aller Menschen bringen.
Umdenken muss her
"Ich träume davon, dass wir endlich einsehen, dass der junge, gut ausgebildete, durch und durch gesunde Mensch die Ausnahme darstellt und nicht die Regel ist", so Schwingshandl. Der zweifache Vater ist davon überzeugt, dass die aktuellen Gesetze zur Barrierefreiheit den Betroffenen nur wenig helfen. "Solange die Behinderung durch dieses oder jenes als Ausnahme gesehen wird, ändert sich nichts." Das beginne bereits im Kindergarten und in der Schule, wo Kinder mit Einschränkungen in speziellen Klassen unterrichtet und damit von vornherein stigmatisiert würden.
Schwingshandl möchte auch abseits seiner Einschränkung Barrieren abschaffen: "Ich träume nicht davon, mich mit anderen Blinden in einem Verein zusammenzuschließen oder mich ausschließlich um die Belange anderer Blinder zu kümmern, ohne dabei auf die anderen – mit künstlichen Kniegelenken, einem vergessenen Hörgerät oder einem Trauma – Bedacht zu nehmen." Er träumt auch davon, dass die Menschen ihr Handeln und seine Folgen Bedenken. Als Beispiel nennt er etwas aus seinem Alltag: "Auf dem Weg, den ich zwischen zuhause und dem Kindergarten ungefähr fünfzehn Mal die Woche zurücklege, komme ich an einer Kleingartenanlage vorbei. Jetzt im Sommer steht da an mindestens vier Tagen ein Mistkübel – auf dem Gehweg. Der stört offensichtlich nicht nur mich, denn da er an mindestens drei Tagen leer ist, steht er jeden Tag ein bisschen anders. Es muss der Besitzerin doch klar sein, dass der Gehweg nicht der richtige Platz für das dauerhafte Abstellen ist."
"Trau mir etwas zu!"
Nur durch seine Behinderung definiert und damit automatisch in jedem Bereich als hilfsbedürftig abgestempelt zu werden, ist für ihn das Schlimmste. Als bestes Beispiel, wie es funktionieren sollte, nennt der Floridsdorfer seine Lebensgefährtin: "Die beste Nichtehefrau von allen hat nicht das geringste Problem, mich die schweren Koffer tragen oder mich den Wasserhahn reparieren zu lassen." Oft legt der Floridsdorfer Wege zurück, die er sehr genau kennt. Dabei braucht ich keine Hilfe:
"Ich träume davon, dass Leute, die mich dabei sehen mir erst mal ins Gesicht schauen, bevor sie mir Hilfe anbieten und ein „nein, danke“ nicht akzeptieren. Ich träume aber auch davon, dass die alte Dame, die offenhörlich Schwierigkeiten hat, ihren schweren Koffer in den Zug zu hieven, nicht erst „ja, gerne“ sagt und dann, sobald sie meinen Blindenstock sieht, auf „nein, es geht schon“ umschwenkt." Zusammengefasst bringt Schwingshandl seinen Traum auf den Punkt: "Ich träume davon, wie einfach alles sein könnte, wenn die Menschen aufhören würden, sich alles so kompliziert zu machen. Also: Weg mit den Barrieren in den Köpfen!"
Träum dein Wien
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