Atomunfälle
Seibersdorf schult seit 60 Jahren Strahlenschutz-Experten
Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs steigt die Angst vor Nuklear-Katastrophen: Es wird mit Atomwaffen gedroht. Atomkraftwerke werden beschossen oder vom Stromnetz gekappt. Was passiert im Ernstfall? In Seibersdorf im Bezirk Baden werden seit 60 Jahren Experten für Strahlenschutz ausgebildet. Nachfrage gibt es aus der ganzen Welt.
SEIBERSDORF. Am 11. Mai fand am Tech-Campus Seibersdorf eine Leistungsschau „Einsatz für den Strahlenschutz-Krisenfall" der österreichischen Einsatzorganisationen und des Bundesheeres mit ihrem Partner Seibersdorf Labor GmbH statt. Anlass war das 60-Jahr-Jubiläum der gemeinsamen Strahlenschutz-Leistungsbewerbe, die einheitliche Ausbildung und organisationsübergreifende Übungen ermöglichen.
Was tun, wenn man verstrahlt ist
Gezeigt wurden u. a. die Vorgangsweise bei der Dekontamination von Menschen und das Auffinden von Strahlenquellen, wobei z. B. das Strahlenschutz-Messgerät SSM1+ auch ausprobiert werden konnte, eine Entwicklung der Seibersdorf Expertinnen und Experten, die in allen Einsatzorganisationen und auch beim Bundesheer zum Einsatz kommt.
Geübt wird mit echter Strahlung
In Seibersdorf wird mit echten, strahlenden Substanzen geübt – kein Trockentraining mit doppeltem Boden. Am Gelände der Seibersdorf Laboratories haben Einsatzkräfte den Vorteil, unter besonders realitätsnahen Bedingungen zu üben. Ein Vorteil, der im Ernstfall Leben retten kann. Martina Schwaiger, Geschäftsführerin der Seibersdorf Laboratories, betont:
„Es macht einfach einen großen Unterschied, ob man mit Simulationen arbeitet oder mit realen Stoffen. Die Einsatzorganisationen müssen einfach wissen, wie man im Realfall damit umgeht. Da dürfen nicht die Nerven flattern, da darf nichts vergessen werden, sondern da muss auch die Schutzausrüstung gut sitzen und jeder Handgriff gut trainiert sein – und das geht nur mit Realsubstanzen."
Tagung des ÖVS
Die Strahlenschutz-Leistungsschau fand im Rahmen einer Tagung des Österreichischen Verbandes für Strahlenschutz (ÖVS) statt und wurde von der Seibersdorf Labor GmbH organisiert. Martina Schwaiger, Geschäftsführerin des Unternehmens, betonte in ihrer Eröffnungsrede die Bedeutung der gemeinsamen Ausbildung und Übung für ein rasches und effizientes Eingreifen bei Notfällen mit radioaktiven Kontaminationen.
Strahlenschutz-Ausbildung seit den 1960ern
Auf Initiative von Fachkräften aus Seibersdorf wurde Anfang der 60er-Jahre damit begonnen, einen einheitlichen Ausbildungsstandard im Strahlenschutz für Einsatz- und Streitkräfte zu entwickeln, was schließlich 1963 zur ersten Durchführung von Strahlenschutz-Leistungsbewerben führte – einem bis heute hervorragend funktionierenden Ausbildungs- und Übungsprogramm. Zwischenfälle mit radioaktiver Kontamination stellen für alle beteiligten Organisationen und auch für die involvierten Behörden eine besondere Herausforderung dar. Um im Ernstfall rasch und sachgerecht reagieren zu können, ist neben dem Fachwissen vor allem die reibungslose Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den beteiligten Kräften notwendig. Das ist in Österreich durch die Seibersdorfer Strahlenschutz-Leistungsbewerbe sichergestellt.
Vorführung von effizientem Strahlenschutz
Auf den Stationen der Leistungsschau demonstrieren die verschiedenen Organisationen - Österreichischer Bundesfeuerwehrverband (ÖBFV), Österreichisches Rotes Kreuz, Polizei (Bundesministerium für Inneres) das österreichische Bundesheer sowie die Berufsfeuerwehr Wien und das Hygienezentrum Wien – und die Seibersdorf Labor GmbH als Technologie- und Ausbildungspartner dem Publikum ihren Beitrag zu einem effizienten Strahlenschutz, fußend auf den jeweiligen speziellen Voraussetzungen und Vorgehensweisen im Einsatzfall.
Die Gäste zeigten sich beeindruckt und genossen als Abschluss den kulinarischen „Beitrag“ des Bundesheeres in Form einer traditionellen Gulasch-Verköstigung, die aufgrund der guten Witterung allen Vorhersagen zum Trotz im Freien stattfinden konnte.
30.000 Experten ausgebildet
Ein Rückblick auf die Geschichte der Leistungsbewerbe zeigt den enormen Erfolg des gemeinsamen Ausbildungssystems. Seit 1963 haben bereits über 30.000 Angehörige heimischer Organisationen eine Ausbildung in Seibersdorf absolviert. Bis heute sind die Leistungsbewerbe ein Kernstück der Ausbildung und Einsatzvorbereitung.
Dabei haben sich über die Jahre die Anforderungen an Strahlenschutzeinsatztrupps verändert. Während in den Anfängen noch mit dem Bedrohungsszenario des kalten Krieges gearbeitet wurde, hielten in den 70er-Jahren Terrorszenarien und mögliche Transportunfälle Einzug in die Strahlenschutz-Leistungsbewerbe. Schulungen und Bewerbe wurden im Laufe der Zeit immer anspruchsvoller und umfangreicher. Neben theoretischem Wissen werden auch praktische Fähigkeiten im Umgang mit radioaktiven Materialien geprüft. Dabei geht es vor allem um die Handhabung von Messgeräten, die Durchführung von Messungen und Berechnungen sowie die korrekte Anwendung von Schutzbekleidung.
Gefahrenbewusstsein schärfen
Insgesamt haben die Strahlenschutzleistungsbewerbe in Österreich dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Gefahren ionisierender Strahlung zu schärfen und den Umgang mit Strahlungsquellen zu professionalisieren.
Seibersdorf setzt Standards
Heute bilden die österreichischen Einsatz- und Streitkräfte sowie die zuständigen Behörden und die Seibersdorf Labor GmbH ein hervorragend funktionierendes Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung und Ergänzung. So ist beispielsweise das in Seibersdorf entwickelte und produzierte Strahlenschutzmessgerät SSM1+ aus dem Strahlenschutz-Alltag der heimischen Organisationen nicht mehr wegzudenken und wird aufgrund seiner Zuverlässigkeit und Robustheit mittlerweile auch weltweit exportiert.
International gefragt
Ebenso wie das „Erfolgsmodell“ der Strahlenschutz-Leistungsbewerbe, die längst nicht nur für österreichische Organisationen stattfinden. Angehörige von Einsatz- und Streitkräften aus vielen Ländern wurden in Seibersdorf für ihre Aufgaben im Strahlenschutz ausgebildet, z. B. aus Deutschland, den Niederlanden, den Arabischen Emiraten und Jordanien.
Das überaus erfolgreiche Ausbildungssystem der Leistungsbewerbe in einer politisch wie technologisch im Umbruch befindlichen Zeit „up to date“ zu halten, ist eine große Herausforderung. Die enge Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen, Behörden und der Seibersdorf Labor GmbH ist daher wichtiger denn je. Ein wesentlicher Schritt in die Zukunft ist die notwendige Verknüpfung der Leistungsbewerbe mit internationalen Standards, um auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu stärken, denn Radioaktivität macht an Staatsgrenzen nicht halt.
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