"Bergkristall": Fotos aus dem Nazi-Stollen in St. Georgen/Gusen
Bericht und Bilder von einer Stollenbegehung im Mai 2011
KZ-Stollen als Atommüll-Lager
10.000 KZ-Häftlinge kamen beim Bau des Stollensystems „Bergkristall“ in St. Georgen an der Gusen zu Tode. Am Samstag bot sich Interessierten die Möglichkeit, die erhaltenen Teile der unterirdischen Anlage zu besichtigen.
ST. GEORGEN AN DER GUSEN. „Wir machen das, um zu verhindern, dass sich so ein Wahnsinnssystem wiederholt“, erklärte Kulturreferent Rudolf Lehner den rund 40 Anwesenden zu Beginn der Führung. Gemeinsam mit der Bundes-Immobiliengesellschaft (BIG) bot die Gemeinde St. Georgen an der Gusen am Samstag in sechs Führungen die Gelegenheit, das Stollensystem „Bergkristall“ zu besichtigen. „Dabei handelt es sich um das riesige ehemalige, zum Komplex des Konzentrationslagers Mauthausen/Gusen gehörende unterirdische Flugzeugwerk der Messerschmitt AG“, so Lehner.
"Die durchschnittliche Lebensdauer der Stollenarbeiter lag bei drei Monaten"
Von den ursprünglich 7,5 Kilometern existieren heute noch 1,8 Kilometer. Der Rest wurde mit Beton verfüllt. „Die Stollen wurden ab 1944 in 13 Monaten Bauzeit von KZ-Häftlingen mit Spitzhacken und Schaufeln händisch gegraben. Durchschnittlich drei Monate überlebten die Arbeiter. Man kann sagen, jeder Meter forderte ungefähr einen Toten. Zum Vergleich: Der gleich lange Tauerntunnel wurde mit modernen Geräten in fünf Jahren Bauzeit errichtet“, veranschaulichte Bernhard Mühleder, der am Samstag durch die Anlage führte.
Nachnutzung: Im Stollen wurden Schwammerl gezüchtet
Ausgewählt wurde der Standort in St. Georgen nicht nur aufgrund des Sandsteins und der durch die nahen Konzentrationslager verfügbaren Zwangsarbeiter, auch die Nähe zur Donau und zur Bahn waren für die Nazis von Vorteil. So führte eine Bahnstrecke direkt in den Stollen, womit in der Nacht fertige Flugzeugteile nach draußen gebracht wurden.
Gemeinsam mit den KZ Mauthausen und Gusen wurde „Bergkristall“ am 5. Mai 1945 von US-Soldaten befreit. Später übernahmen die Sowjets die Kontrolle. Sie waren es laut Mühleder auch, die 1947 versuchten, die Anlage zu sprengen, damit Österreich im Fall eines erneuten Krieges die Stollen nicht nutzen könnte. Die Beschädigungen führten zu Einsturzgefahr und zu an der Oberfläche sichtbaren Kraterbildungen. Während für Mauthausen relativ rasch die Errichtung einer Gedenkstätte beschlossen wurde, gab es für „Bergkristall“ keine derartigen Pläne. „Wäre das Atomkraftwerk Zwentendorf in Betrieb gegangen, hätte man in St. Pantaleon das nächste gebaut. Der Atommüll hätte dann hier in den Stollen endgelagert werden sollen“, so Mühleder. Dazu kam es bekanntlich nicht, doch eine Championzucht in den Stollen wurde Realität. 2001 übernahm mit der BIG die Republik Österreich das Stollensystem.
Wunsch: Erhaltener Teil soll Gedenkstätte werden
Zur Absicherung der darüber gebauten Häuser wurde ein Großteil der Stollen in den Jahren 2003, 2004 und 2009 mit Beton verfüllt. „Die Stollen sollen jetzt Teil der Gedenkstätte werden. Die Anlage Bergkristall war mit rund 42.000 Quadratmeter Fläche größer als das KZ Mauthausen“, hofft Mühleder auf eine Erhaltung der Anlage für künftige Generationen.
Alle Fotos: Ulrike Plank
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