St. Pölten ist Reformationsstadt Europas

Bürgermeister Mag. Matthias Stadler nimmt die Urkunde, mit der St. Pölten der Titel "Reformationsstadt Europas" verliehen wird, aus den Händen von Bischof  Dr. Michael Bünker entgegen. | Foto: Josef Vorlaufer
  • Bürgermeister Mag. Matthias Stadler nimmt die Urkunde, mit der St. Pölten der Titel "Reformationsstadt Europas" verliehen wird, aus den Händen von Bischof Dr. Michael Bünker entgegen.
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ST. PÖLTEN (red). Am 24. Jänner 2017 wurde der Landeshauptstadt St. Pölten von Bischof Dr. Michael Bünker in seiner Funktion als Generalsekretär des Netzwerks „Europäischer Reformationsstädte“ der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa der Titel „Reformationsstadt Europas“ verliehen. St. Pölten ist damit eine unter europaweit 78 Reformationsstädten, die dieses gesetzlich geschützte Label führen dürfen.

„Der Titel „Reformationsstadt Europas“ ist ein Projekt der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“, erklärt Bischof Dr. Michael Bünker bei der Verleihung, „mit dem im Jubiläumsjahr „ 500 Jahre Reformation“ ein Netzwerk von europäischen Reformationsstädten auf den Weg gebracht werden soll.“
Mit der Verleihung des Titels soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Reformation vor 500 Jahren ein städtisches Phänomen war. Städte waren die Dreh- und Angelpunkte, weil die Reformation von Anfang an ein Aufbruch war, der das Ganze des gesellschaftlichen Zusammenlebens betroffen hat. Die Verleihung des Titels ist aber auch Ausdruck des Bekenntnisses der Stadt zur ihrer Geschichte, war doch St. Pölten zu Ausgang des 16. Jhs. durch über drei Jahrzehnte fast zur Gänze protestantisch und hat diese Epoche bis heute nachhaltige Spuren in unserer Stadt hinterlassen. „Die Stadt St. Pölten kann mit ihrem besonderen Anteil an der österreichischen Reformationsgeschichte ohne Zweifel eine Reformationsstadt europäischen Ranges genannt werden“, sagte der evangelische Bischof im Rathaus.

Mit der Verleihung des Titels wird St. Pölten in die Präsentation der europäischen Reformationsstädte auf der Webseite www.reformation-cities.org aufgenommen. Dort scheinen neben einem Portrait der Stadt auch alle von der Stadt geplanten Aktivitäten und Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum auf.

Reformation prägte St. Pölten

Bürgermeister Mag. Matthias Stadler bedankte sich für die Verleihung des Titels „Reformationsstadt Europas“ an St. Pölten und hob neben der aktuellen Bedeutung für die Kommune auch die große historische Bedeutung der Reformation für die Geschichte der Stadt hervor. Die Bevölkerung der Stadt St. Pölten hat gegenüber der Obrigkeit immer ihre eigene Meinung vertreten – dieses historische Vorbild einer mündigen Bürgerschaft ist für uns heute noch prägend! Dass die Verleihung dieses Titels hier im Rathaus stattfindet, hat für uns symbolischen Charakter – wesentliche Teile dieses Gebäudes, wie der Rathausturm, wurden zu einer Zeit errichtet, als sich der innere und der äußere Rat der Stadt St. Pölten in ihrer Gesamtheit dem neuen Glauben zugewandt hatten. Deshalb war für uns die Bewerbung um die Verleihung des Titels selbstverständlich, noch dazu hat die Reformation die Entwicklung unserer Stadt ganz wesentlich beeinflusst“ betont das St. Pöltner Stadtoberhaupt und nahm die offizielle Verleihungsurkunde entgegen.

Die Geschichte der Reformation in St. Pölten

In den letzten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts waren sowohl Stadtrichter und ‑schreiber als auch der gesamte innere und äußere Rat der Stadt Anhänger des neuen Glaubens, auch wenn sie diesen nicht frei ausleben konnten. Denn im Gegensatz zum Adel in den nahe St. Pölten gelegenen Besitzungen und Schlössern, denen von Kaiser Maximilian II. durch die Religionskonzession von 1568 und die Religionsassecuranz von 1571 die freie Ausübung der augsburgischen Konfession zugestanden wurde, galt dies für die landesfürstlichen Städte, wie St. Pölten eine war, keinesfalls, da sie Kammergut waren, über welches dem Kaiser das alleinige Bestimmungsrecht zustand, auch wenn die Herrschaft St. Pölten an die protestantischen Herren von Prösing verpachtet war. Ein lang andauernder Konflikt mit dem Haus Habsburg und dem nichtsdestoweniger sehr selbstbewussten und von seiner neuen Glaubenseinstellung überzeugten Rat der Stadt St. Pölten war somit vorprogrammiert.

Dieses neue Selbstbewusstsein zeigt sich auch darin, dass in eben jener Zeit nicht nur das Rathaus durch den Ankauf des Hauses Ecke Rathausplatz/Prandtauerstraße erweitert wurde, sondern die vereinten Häuser auch aufgestockt wurden, das Rathaus einen auch als Körnerkasten und Zeughaus verwendeten Zubau erhielt und als äußeres Zeichen städtischer Repräsentation und als Ausdruck für das neue Selbstverständnis des Bürgertums der 1591 vollendete Rathausturm entstand, was Hand in Hand mit der Beauftragung eines Stadtrichterschwert im Jahr 1579 als repräsentatives Zeichen städtischer Macht.

Die Ideen der Reformation waren sicherlich schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch fahrende Buchhändler aber auch durch die Wirtschaftskontakte in den schon protestantisch gewordenen süddeutschen Raum nach St. Pölten gelangt, begannen sich aber erst ab etwa 1560 tatsächlich durchzusetzen. Dass der Rat um die Jahrhundertmitte noch katholisch war, zeigt eine Anweisung aus dem Jahr 1551 mit der Aufforderung, den Handel und Gebrauch „sektiererischer Druckwerke“ hintanzuhalten. Doch die von den umliegenden protestantisch gewordenen Adeligen angestellten Prädikanten verbreiteten bereits eifrig die neue Lehre.

Mit zum Übergang zur neuen Lehre trug sicherlich auch das Verhältnis zum St. Pöltner Chorherrenstift bei, das damals mit enormen Problemen zu kämpfen hatte, aufgrund seiner finanziellen und personellen Situation kurz vor der Auflösung stand, im Zuge der Gegenreformation seine Position aber wieder festigen konnte und zum wichtigsten Stütz- und Ausgangspunkt bei der Rekatholisierung der Stadt wurde. Dies sicherte sein Überleben bis zu seiner Aufhebung durch Joseph II. im Jahr 1784.

Die protestantische Stadtverwaltung setzte in vielerlei Weise neue Akzente im Gemeindeleben. So entstanden neben der bisherigen, zum Kloster gehörenden Schule eine privat geführte deutsche und eine lateinische Schule, deren Aufsicht nur der Stadtverwaltung unterstand. Die Protestanten ließen ihre Verstorbenen nicht mehr auf dem zum Stift gehörigen Friedhof auf dem Domplatz begraben, sondern in einem der Stadt gehörenden vor den Stadtmauern, beim heutigen Europaplatz. Vor allem aber waren die Prediger in der ehemaligen Pfarrkirche am Domplatz, die vom Propst des Chorherrenstiftes vorgeschlagen und von der Stadt bestätigt werden mussten, ab etwa 1560 fast ausschließlich protestantisch gesinnt, was die Pröpste selbst oft erst zu spät registrierten. Als sich der neue Propst Wolfgang Heusler des von seinem Vorgänger eingestellten Prädikanten Siegmund Sieß entledigen wollte, begann ein langer Kampf zwischen Prost und Stadtrat. Der Konflikt endete mit der Sperrung der Kirche durch den Propst und der darauf folgenden gewaltsamen Öffnung der Kirche und der Zerschlagung des Schlosses der Kanzel durch Stadtrichter Zandt, der für diese Aktion verhaftet und seiner Ämter entsetzt und erst wieder 1577 rehabilitiert wurde.

Kaum also hatte der neue Glauben hier Fuß gefasst, setzte auch schon die Gegenreformation ein und wurde unter Kaiser Rudolf II. mit Vehemenz vorangetrieben. Bereits 1578 mussten die privaten Schulen geschlossen werden, und der evangelische Prädikant Fabrizius, der gerade erst 1577 ein Haus in der Marktgasse erworben und begonnen hatte dort eine Pfarrorganisation aufzubauen, musste 1584 die Stadt verlassen. Trotz dieser Ereignisse und vieler anderen Repressalien von Seiten des Landesfürsten blieben die meisten St. Pöltner ihrem neuen Glauben treu. Erst das persönliche Erscheinen Bischof Melchor Khlesls in St. Pölten nach 1600, der die Bürger persönlich mit Schwur verpflichtete, den Gottesdienst nur mehr in der wieder katholisch besetzten Stadtpfarrkirche zu besuchen und durchsetzte, dass nur mehr katholische Bürger in den Stadtverband aufgenommen wurden, versetzte dem Protestantismus den Todesstoß, sodass Khlesl 1623 in einem Schreiben an Richter seiner Freude Ausdruck geben konnte, dass die St. Pöltner wieder zur katholischen Religion zurückgekehrt seien.

Ermöglicht durch das Toleranzpatent von Kaiser Joseph II. von 1781, fand im Jahr 1877 in St. Pölten wieder ein evangelischer Gottesdienst statt, fast 300 Jahre, nachdem an den evangelischen Prädikant Paulus Fabricius die Aufforderung ergangen war, die Stadt umgehend zu verlassen. Mit der Einweihung der neu erbauten evangelischen Kirche im Jahr 1892 wurde die Existenz der wiedererstandenen evangelischen Gemeinde auch sichtbar. Der Umzug der Superintendentur von Bad Vöslau nach St. Pölten 1998 hat St. Pölten schließlich zur spirituellen Hauptstadt der reformierten Kirche in Niederösterreich gemacht.

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