Vor Direktionswechsel
Verstimmung an der Volksoper
Im Herbst 2022 wird Lotte de Beer Direktorin der Volksoper. Nun regt sich Unmut über auslaufende Verträge.
WIEN/ALSERGRUND. Im Herbst 2022 bekommt die Volksoper mit Lotte de Beer eine neue Direktorin – die erste Frau in der Geschichte des Hauses. Im Vorfeld regt sich aber Unmut im Ensemble über Kündigungen und den Umgang der Direktion mit langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Von den 64 Sängerinnen und Sängern, die derzeit das Ensemble der Volksoper bilden, bekommen nur 25 einen Jahresvertrag für die Saison 22/23, die erste unter Lotte de Beer. Weitere 15 bekommen Residenzverträge für einzelne Produktionen, die Verträge von 14 Personen wurden nicht verlängert.
Ungewöhnliches Vorsingen
Einer von ihnen ist Gernot Kranner, seit 2001 Ensemblemitglied der Volksoper. Dass sich eine neue Direktion von einem Teil des Ensembles trennen und andere Personen einbringen möchte, sei nichts Ungewöhnliches, sagt auch er. Aber sie Art, wie die Entscheidung getroffen wurde, ärgert ihn: "Wir wurden zu einem Vorsingen geladen und hatten 15 Minuten Zeit, uns zu präsentieren. Von so etwas habe ich noch nicht gehört." Üblicherweise sieht sich eine neue Intendanz die laufenden Produktionen an, was diesmal wegen der Corona-bedingten Schließung des Hauses aber nicht möglich war.
Kranner spricht davon, dass es unter den nicht verlängerten Ensemblemitgliedern Härtefälle gebe, die sich nun, da das Kulturleben nach den Lockdowns langsam wieder auf die Beine kommt, schwertun würden, eine neue Anstellung zu finden: "Ich gehe nicht davon aus, dass man hier in den nächsten Jahren etwas finden wird. Der Markt ist zusammengebrochen." Arbeitsrechtlich problematisch sind die Jahresverträge, die nicht nur an der Volksoper, sondern in der gesamten Kulturbranche Standard sind. Sie sind zwar vom Kollektivvertrag gedeckt, aber als "Kettenverträge" – wenn man immer wieder nur ein Jahr lang angestellt wird – könnten sie EU-Recht widersprechen.
Gegen Kettenverträge
Genau hier will Kranner nun ansetzen und mit Unterstützung der Arbeiterkammer gegen die Kettenverträge und das Auslaufen seines Arbeitsverhältnisses vorgehen. "In unserer Branche ist es schwer, sich für seine Rechte einzusetzen, weil man dann schnell als schwierig angesehen wird und keine Arbeit mehr bekommt. Aber ich kämpfe für Gerechtigkeit", sagt er.
Die neue Direktorin betont, dass das Vorgehen normal sei: "Jede künstlerische Neuausrichtung, jeder Intendanzwechsel zieht auch Veränderung nach sich", so Lotte de Beer. Auch die Anzahl der nicht verlängerten Verträge sei ein "üblicher Wert". Alle Verträge enden frühestens mit Ende August 2022, also in mehr als einem Jahr.
Dass den Personen mit auslaufenden Verträgen noch eine Abschlagszahlung angeboten wurde, sei hingegen einzigartig, so die neue Direktorin: "Für die 14 Sängerinnen und Sänger wurde auf Anregung der Gewerkschaft und zusammen mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung aufgesetzt, die auch über den 31. August hinaus eine Zahlung zusichert – mir ist international kein anderes Haus bekannt, das so vorgegangen ist."
Betriebsrat sieht faires Vorgehen
Auch der Volksopern-Betriebsrat Josef Luftensteiner bezeichnet diese Zahlungen als Entgegenkommen. "Mir wäre lieber gewesen, wenn alle Verträge verlängert worden wären", sagt er. "Aber das ist die Freiheit der Kunst." Das Vorgehen von de Beer sei sehr fair, da die Entscheidungen mehr als ein Jahr im Voraus gefallen seien. Die Problematik der Kettenverträge kenne er auch: "Ich weiß aber nicht, ob das ein Segen ist, sie zu beeinspruchen." Er fürchtet, dass die Künstlerinnen und Künstler bei einem Verbot noch schlechter aussteigen würden, da die Häuser Fixanstellungen eher vermeiden.
Gespräche werden nun auf mehreren Ebenen weitergeführt: Innerhalb der Gewerkschaft möchte sich der Betriebsrat noch mit Rechtsanwälten über die Kettenverträge abstimmen, und die neue Intendanz möchte "in den kommenden Wochen daran arbeiten, gemeinsam mit den Sängern eine Lösung zu finden, die für alle befriedigend ist." Gernot Kranner hat sich bereits entschieden, den Rechtsweg zu beschreiten.
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