Posse um verschollenen Bürgermeister
Michael Häupls Bürgermeisterkollege in Kiew ist seit Monaten untergetaucht.
Man stelle sich vor, Michael Häupl wäre zur Fußball-Europameisterschaft in Österreich vor vier Jahren einfach verschwunden. Ein undenkbares Szenario, denn Politiker nützen bekanntlich jede Chance, sich in Szene zu setzen. Der Kiewer Bürgermeister Leonid Tschernowetski ist da an sich keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Der Multimillionär, seit 2007 im Amt, hat einen besonders ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung. Mal lud er zur Pressekonferenz in ein Schwimmbad, wo er sich den Journalisten vor laufenden Kameras in einer ästhetisch mehr als fragwürdigen sportlich enger Badehose präsentierte, ein anderes Mal schlug er vor, seine Küsse meistbietend zu versteigern, um die Stadtkassen aufzufüllen. Manchen nennen ihn exzentrisch, die Opposition bezeichnet ihn als pathologisch verrückt.
Doch gerade während der EM, wo ihm die Aufmerksamkeit sicher wäre, ist er untergetaucht. Viele zweifeln daran, dass er überhaupt noch in Kiew lebt. Begonnen hat die ganze Posse schon Ende 2010, als er von Präsident Janukowitsch in einem stillen Putsch de facto entmachtet wurde. Um die Hauptstadt unter die Kontrolle der regierenden Partei der Regionen zu bringen, wurde ihm der ehemalige Geheimdienstoffizier Alexander Popow als Verwaltungschef vor die Nase gesetzt. Der kümmert sich seitdem um die ausführende Macht, Tschernowetskis Aufgaben beschränken sich aufs Repräsentieren. Abfällig wird er seitdem die „Queen von Kiew“ genannt und ist immer wieder monatelang verschollen. Neuwahlen aber gibt es trotzdem nicht.
Erst nach der EM soll darüber beraten werden, angesichts schlechter Umfragewerte der Präsidentenpartei (derzeit gilt der Boxweltmeister Vitali Klitschko als Favorit) könnte der Urnengang aber mittels juristischer Finte auf unbestimmte Zeit verschoben werden, was bei einem vorzeitigen Rückzug des Bürgermeisters möglich ist. Wie gut, dass Tschernowetski seinen Rücktritt vergangene Woche einen Tag vor dem offiziellen Ausscheiden bekanntgab. Und so könnte Kiew noch länger die einzige europäische Metropole ohne gewählten Bürgermeister bleiben.
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