Unter Wienern: Urbane Seltsamkeiten auf Facebook

- Marco Seltenreich gründete 2010 die Facebookgruppe "Unter Wienern".
- hochgeladen von Maria-Theresia Klenner
Marco Seltenreich sammelt in seiner Facebookgruppe "Unter Wienern" Skurriles aus Wien. Die Palette reicht von Graffiti über Namensschilder bis hin zu mitgehörten Dialogen im öffentlichen Raum.
FLORIDSDORF. Eine Arzpraxis im 21. Bezirk. Ein Zivildiener mit Brille wird bei der Sprechstundenhilfe vorstellig: Sie: "Adresse?" Er: "Kantweg - so wie der Philosoph." Sie (schweigt). Er: "Immanuel Kant." Sie schaut ihn entnervt an. Er: "So wie die Kante ohne E." Sie: "Danke."
Dieser Dialog stammt nicht aus einem Karl Valentin-Buch, sondern aus der Facebookgruppe "Unter Wienern". Erlebt hat ihn der Administrator Marco Seltenreich, der die geschlossene Gruppe im September 2010 gegründet hat. Die Idee dazu kam dem gebürtigen Floridsdorfer auf der Fahrt zur Arbeit mit der Straßenbahnlinie 26. "Ich habe früher beim Straßenbahnfahren immer Musik gehört. Einmal hatte ich die Kopfhörer vergessen und so den anderen Fahrgästen zugehört. Das ergab ein so authentisches Bild dieser Stadt, dass ich dachte, ich muss ab sofort aktiv zuhören und die besten Dialoge mitschreiben." Seither setzt sich Seltenreich nicht nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln "dorthin, wo was los ist - ab drei Leuten wird es interessant" - sondern animiert auch seine Facebookgruppe zum aktiven Zuhören.
Abbilden, nicht spotten
Doch nicht nur Dialoge sind in der Gruppe, die derzeit 2.320 Mitglieder umfasst, zu finden, sondern auch Fotos von Graffiti wie vom Grandpa-Gangster, Namensschilder an Arztpraxen und Gegensprechanlagen, Nachrichten in Stiegenhäusern oder absurde Produkte in Supermärkten. Ganz wichtig: Die Posts dürfen keine Beurteilung enthalten. "Es geht bei `Unter Wienern´ nicht darum, sich über etwas oder jemanden lustig zu machen, sondern die Wirklichkeit abzubilden. Fotos oder mitgehörte Dialoge werden kommentarlos gepostet. So entsteht ein unverfälschter Blick auf die Wirklichkeit."
Dass diese Wirklichkeit vorwiegend zum Lachen ist, scheint nur auf den ersten Blick so: "Oft lachst du am Anfang und dann denkst du dir: Puh, das ist aber gar nicht lustig. So ging es mir zum Beispiel während einer Fahrt mit dem Autobus 13A, als ich einem jungen Pärchen zugehört habe. Sie: `Ich mag nicht immer Shoppen!´, er: `Was sollen wir denn sonst machen?´, sie: `Hast eh recht.´Es ist traurig, wenn man bemerkt, dass Leute, die offensichtlich eine gute Erziehung und Ausbildung genossen haben, ein einfaches Weltbild haben." Einen engen Horizont gestand man einst dem typischen Wiener Mundl zu, doch den konnte Seltenreich bei seinen Entdeckungstouren kaum finden. "Den typischen Wiener und auch den Mundl gibt es kaum noch. Doch wenn man auf ihn stößt, verzeiht man ihm alles, da man so von diesem Charme überwältigt ist."
Strenge Regeln
Dass die Facebookgruppe, die dank Features wie "Die letzten Abenteuer für Großstädter", "Urbane Botschaften" und "Schöne Namen" auch mit nationalen und internationalen Posts bereichert werden kann, geschlossen agiert, ist laut Seltenreich wichtig für das Vertrauensverhältnis der Mitglieder zueinander. "In einem geschützten Bereich zu posten ist etwas anderes, als öffentlich zu teilen. Ich achte aktiv darauf, dass Posts nicht kopiert und mit hämischen Kommentaren versehen auf andere Seiten kopiert werden. Ich musste etliche Mitglieder wieder entfernen und ich lasse nicht jeden rein. Unter Wienern soll wie ein Club sein, mit toleranten, offenen Leuten mit der gleichen Einstellung. Ich bin stolz darauf, dass die Gruppe frei von Niedertracht ist."
Erklärungen erübrigen sich bei den geposteten Fotos und kurzen Begebenheiten, die in Öffis, Ambulanzwarteräumen oder Bäckereifilialen aufgeschnappt werden, ohnedies. "Die Wahrheit ist interessanter als je ein Autor erfinden könnte", so Seltenreich, der bereits an einem Buch mit den besten Posts arbeitet. "Wenn im Merkur die Verkäuferin dem unfreundlichen Kunden heimlich die Zunge zeigt oder auf einer neu aufgestellten Lärmschutzwand am Praterstern `Endlich Wände!´ gesprayt wurde - das sind urbane Seltsamkeiten, die nur das Leben schreibt!"





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