Nach tausenden Abmahn-Briefen:
Datenschutzanwalt wird selbst angezeigt
Betroffen sind Tausende. Großunternehmer, Handwerker, KMUs und private Blogschreiber. Sie alle erhielten in den vergangenen Wochen vom Anwalt Marcus H. Mahnschreiben mit Schadensersatzforderungen. Doch jetzt wehren sich erste Betroffene. Wir haben mit einem Anwalt gesprochen, der von "gewerbsmäßigem Betrug" spricht und Anzeige erstatten will. Das lässt auch den Anwalt schlecht dastehen, der für eine Mandantin die 190-Euro-Mahnbriefe ausschickt.
BEZIRK GÄNSERNDORF/NIEDERÖSTERREICH. "Unsere Telefone laufen heiß, vor einer Woche waren es noch ein paar Hundert, jetzt werden es immer mehr", sagt Philipp Teufl, Chef der Wirtschaftskammer Gänserndorf." Tausende Webseitenbetreiber in ganz Österreich erhielten vom Anwalt Marcus H. Mahnschreiben wegen Datenschutzverletzungen inklusive der Forderung von 190 Euro. Der Vorwurf: Auf den Webseiten wird "Google Fonts" verwendet, womit Schriften genutzt werden können. Dies kann dazu führen, dass beim Aufruf der Webseite die IP-Adresse des Users in die USA übertragen wird, was nicht der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entspricht.
Seine Mandatin Eva Z. habe diese Webseiten persönlich besucht und sich aufgrund der Datenschutzverletzung unwohl gefühlt, teilt der Anwalt mit.
So reagieren Betroffene
Der Wolkersdorfer Optiker Kurt Moldaschl ist einer der Betroffenen. "Ich habe meine Webseite von meinem IT-Administrator überprüfen und korrigieren lassen", erklärt er. Auf die Forderung werde er nicht eingehen, stattdessen überlege er eine Klage gegen den Anwalt. "Da steckt offensichtlich ein Geschäftsmodell dahinter."
Auch die Feuerwehrkommandos erhielten besagte Schreiben. Bezirksfeuerwehrkommandant Georg Schicker ist empört:
"Dieser Fall zeigt wieder mal, dass die Gesetzgebung was die Rechte des Einzelnen betrifft, über das Ziel hinausschießt. Jeder feiert seine persönlichen Bedürfnisse, während wir Feuerwehrleute die Gemeinschaft, die Freiwilligkeit, die Bereitschaft, für andere einzustehen propagieren."
Er werde die Sache seinem IT-Administrator übergeben, wie in dem Mail des Landesfeuerwehrverbands geraten wurde, das an alle Feuerwehrkommanden ging.
Dies empfiehlt man auch in der Wirtschaftskammer: "Der erste Step ist die technische Kontrolle der Homepage, dann muss überprüft werden, ob Eva Z. tatsächlich auf der Webseite war." Auf der Webpage der Rechtsanwaltskammer NÖ ist in der Causa zu lesen, dass das Vorgehen von Marcus H. rechtlich gedeckt sei, man habe aber ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um Disziplinarmaßnahmen zu prüfen. Betroffene können auf den Webseiten der Rechtsanwaltskammer und der Wirtschaftskammer Informationen zum weiteren Vorgehen einsehen.
Strafanzeige
Der Anwalt Peter Harlander bringt bereits bei der Staatsanwaltschaft und bei der Rechtsanwaltskammer Anzeige wegen gewerbsmäßigen Betrugs ein.
"Die Zahl meiner Mandaten in dieser Sache bewegt sich bereits im dreistelligen Bereich."
- Rechtsanwalt Peter Harlander, der eine Anzeige vorbereitet
Seine Position: Eva Z. habe die meisten Webseiten nicht persönlich besucht, sondern diese seien über die Crawling-Software Scrapy automatisiert ausgelesen worden.
"Wir kennen den Ablauf, wir wissen, welche Server gecrawlt wurden", teilt Harlander mit. So habe man den Fall eines Tiroler Ortes, dessen sämtliche Hundert Privatzimmervermieter ein Mahnschreiben erhalten haben. "Das kann nur über das Branchenverzeichnis gelaufen sein", sagt Harlander. Zudem schickten ihm firmeneigene IT-Experten in großer Zahl Dateninformationen von betroffenen Webseiten zu, aus denen sich Fehler herauslesen lassen: Den Mahnschreiben liegen Screenshots der Webseiten vor, die als Beweis dienen sollen, dass Eva Z. die Seite besucht haben. Laut Harlander seien darunter auch Screenshots von leeren Seiten, weil sich diese gerade im Wartungsmodus befunden hätten.
Vorwürfe zurückgewiesen
Marcus H. weist den Vorwurf, dass seine Mandantin die Webseiten nicht besucht habe, sondern die Zugriffe mittels Suchmaschine erfolgt seien, zurück. Auf seiner Webseite informiert er über die "Rechtssache Fonts" und warnt aus aktuellen Gründen vor "Falschinformationen durch IT-Dienstleister und Interessensvertreter". Zudem stellte er drei Klagsschreiben online. Seine Mandatin habe ihn darum gebeten, um "nachzuweisen, dass sie Worten auch Taten folgen lässt."
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