Kommentar: Jugend ohne Kult: Die Achtziger sind kein Mythos, es hat sie wirklich gegeben

Maria-Theresia Klenner, Redakteurin und ehemaliger Grufti
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WIEN. Einen Kommentar soll ich schreiben, bittet der Chef vom Dienst. Eine Erklärung, woher mein Antrieb für die Subkultur-Reihe Jugend ohne Kult kommt und was ich damit bezwecken möchte. Das Problem: Besagter Chef ist Baujahr 1983, hat somit die Achtziger zwar in der Geburtsurkunde, aber diese nicht als Jugendlicher miterleben dürfen. Mit meiner Antwort, dass ich über diese unbändige Leidenschaft meiner Generation (ich rede von den Geburtsgängen der 60er und 70er Jahre) für Musik berichten möchte, kann ein Mann Anfang der Dreißiger nichts anfangen. Auch seinem Wunsch nach einem Artikel über die Jugendkultur der Migranten heute kann ich nicht nachkommen. Denn unsere Jugend war gänzlich unpolitisch; wir beurteilten einen Menschen nicht nach Herkunft, politischer Gesinnung oder Religion (die damals Gott sei Dank kein Thema war). Wir beurteilten Menschen nach ihrer Plattensammlung. Um eine abgedroschene Phrase zu benutzen: Zeig mir, was du hörst und ich sage dir, wer du bist. In einem Club zu seinem Lieblingslied zu tanzen war ein Seelenstrip, seine Joy Division-Platte herzuborgen der größte Vertrauensbeweis von allen und wer eine selbst aufgenommene Kassette geschenkt bekam, wußte sich geliebt. Ob die Liebe erwidert wurde, war daran ersichtlich, wie oft das Tonband der Kassette mit einem Bleistift aufgerollt wurde.


New Wave-Held: Michael Martinek hat die Anfänge der Kultdisco U4 miterlebt und das Album "Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me" von The Cure als Neuerscheinung gekauft.

Wie soll man Subkultur erklären? Für Außenstehende waren die Gruppierungen auch damals schwer nachzuvollziehen. Wieso schließt sich ein junger Mensch, der sich vom Mainstream abheben möchte, einer Jugendgruppe an und unterwirft sich dort wieder einem Modediktat und schwimmt mit der Masse? Antwort: Weil es zu hundert Prozent echt war. Die Gruftis, Mods, Waver und Punks kehrten ihre Seele nach außen und ja, es schmerzt, wenn junge FM4-Hörer ein Morrisseykonzert besuchen ohne zu wissen, wer Johnny Marr ist und bärtige Hipster ohne Socken auf Vespas herumbrausen ohne jemals vom Modfather Paul Weller gehört zu haben.


Auch in den 90ern ließen sich die Wiener Mods rund um "The Gent" (heller Mantel) weder modisch noch musikalisch von der Gegenwart beeinflussen. Ganz links: Musiker Axel Freud.

Diese Beobachtung, wie wenig der Jugend von heute Musik bedeutet, mache ich nicht nur auf den Straßen Europas - in den USA sind Subkulturen noch nicht gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden - sondern auch in den eigenen vier Wänden. Die 16jährige Tochter, die Alice im Vornamen trägt nach den genialen Nummern von Nick Cave und den Sisters of Mercy, hört zwar David Bowie und besitzt einen Plattenspieler, beschäftigt sich jedoch lieber mit ihrem Smartphone als mit dem heiligen Vinyl. Statt sich im Unglück der Jugend bis zum Morgengrauen in Clubs zu wälzen, werden Selfies gemacht. Für Instagram und Snapchat. Die Jugend wird durch die Smartphonekamera gelebt um anderen zu gefallen. Nicht mit einem Jam-Bootleg oder einer signierten Jesus and Mary-Chain-Platte wird beeindruckt, sondern mit retuschierten Körpern. Der 13jährige Sohn trägt zwar den Namen Morrissey, hört sich jedoch lieber Helene Fischer an. Für elterliche Weisheiten wie "Ronnie Wood hat einst bei den Faces gespielt" sind sie unempfänglich. Tragisch. Tragisch nicht für uns, sondern für diese Jugendlichen, die nicht wissen, was jung sein bedeutet.


Ein Leben durch die Smartphonekamera: Die Selfies sind oft dunkel, das Gesicht meist abgewandt, die schlanke Figur hervorgehoben.

Die Achtziger sind kein Mythos, es hat sie wirklich gegeben. Und wir waren dabei. Die einen als Gruftis, deren Bibel der NME (New Musical Express) war, die anderen als Punks mit Zuckerwasser hochgepicktem Irokesenschnitt und die schönsten von allen waren zweifellos die Mods. Der Style, die Roller, die tablettenunterstützte Coolness - untouchable. Diese Menschen möchte ich mit der Reihe Jugend ohne Kult vor den Vorhang holen, denn es gibt sie noch.


Ein Leben für die Musik: Ian Freeman (l.) hier mit Grufti-Idol Wayne Hussey, Sänger der Band "The Mission", lebt seine Gothic-Leidenschaft auch im 21. Jahrhundert aus.

DJ Elk legt nach wie vor feinsten Northern Soul auf, DJ Paul Raal beglückt immer noch Clubbesucher mit seinen raren Synth-Pop-B-Seiten, DJ Eraserhead bringt Gruftis der ersten Stunde wie Helmut Prixs und Claudia Rossner-Poniz zum Tanzen während David Pfister auf FM4 zu hören ist und Waver Michael Martinek sein eigenes Plattenlabel vorweisen kann. Und wenn man Glück hat, begegnet man Christoph "The Gent" Beier sogar auf der Straße - mit maßgeschneidertem Anzug und weißen Socken, wie vor 28 Jahren.

Hintergrund

Berichte: Wo sind die Mods, Punks und Gruftis?

Die ersten Gruftis pilgerten vom Franz zum Conny

Punks not dead in Währing Conny, zur richtigen Zeit an der richtigen Tür David Pfister von FM4: "Das Gute bleibt immer"

Maria-Theresia Klenner, Redakteurin und ehemaliger Grufti
Ein Leben durch die Smartphonekamera: Die Selfies sind oft dunkel, das Gesicht meist abgewandt, die schlanke Figur hervorgehoben. | Foto: Stella Alice K. Instagram
Ein Leben für die Musik: Ian Freeman (l.) hier mit Grufti-Idol Wayne Hussey, Sänger der Band "The Mission", lebt seine Gothic-Leidenschaft auch im 21. Jahrhundert aus. | Foto: Ian Freeman Privatarchiv
Auch in den 90ern ließen sich die Wiener Mods rund um "The Gent" (heller Mantel) weder modisch noch musikalisch von der Gegenwart beeinflussen. Ganz links: Musiker Axel Freud. | Foto: Christoph Beier Privatarchiv
New Wave-Held: Michael Martinek hat die Achtziger in der Kultdisco U4 miterlebt und das Album "Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me" von The Cure als Neuerscheinung gekauft. | Foto: Tanja Werdan Privatarchiv

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