G‘sund bleiben Teil 15
Einkaufen mit einem Blinden: Fritz will trotzdem die Welt noch spüren
Der Mann mit dem Blindenstock geht an mir vorbei. "Hier bin ich, Herr Kieteubl", rufe ich ihm zu. Er dreht um und geht lächelnd auf mich zu. "Erste Regel, wenn Sie mit einem Blinden unterwegs sind: Machen Sie sich immer bemerkbar!" sagt er zu mir.
THERMENREGION. Fritz Kieteubl, 64, leidet an einer vererbten sehr seltenen fortschreitenden Augenerkrankung namens "Retinopathia pigmentosa". Die Netzhaut stirbt im Lauf der Jahrzehnte langsam ab. Seit vielen Jahren kann Fritz Kieteubl nur noch Umrisse wahrnehmen. Dennoch stellt er sich dem Abenteuer "selbstbestimmtes Leben".
Heute begleite ich ihn auf seiner Einkaufstour. Zunächst geht er zum Geldabheben am Bankomaten. Ein kleines Geduldsspiel, denn um in das Foyer zu kommen, muss er erst mal den Schlitz ertasten, in den er die Bankomatkarte stecken muss.
Am Bankomat selber verbindet er sich via Kopfhörer mit der Maschine. Dann sagt ihm der Bankomat jeden einzelnen Handgriff vor. Den Ziffernblock zur Eingabe des Codes ertastet Kieteubl ohne Problem, der Fünfer ist immer in der Mitte. Am Ende hat er ein kleines automatisch gestückeltes Geldpaket in der Hand.
Zum Wocheneinkauf
Nun geht es zum Wocheneinkauf in den nächsten Supermarkt. Ganz ohne Hilfsmittel kommt er dabei nicht aus, denn nicht alles lässt sich ertasten. Und nicht überall steht jemand, den man fragen kann. Die Hilfsmittel sind eine kleine Taschenlampe zum Entziffern halbwegs groß geschriebener Produktnamen. Manchmal hilft auch eine App am Handy, die Verpackungen erkennt, beschreibt und die Aufschrift vorliest. Oder Kieteubl verwendet eine klassische Lupe mit Licht, um Preisschilder zu lesen.
Am verlässlichsten ist aber sein Tastsinn.
"Ich erkenne die Waren an ihrer Verpackung, und meistens weiß ich auch, wo was geschlichtet ist. Wenn im Supermarkt umgeräumt wird, wie so oft, muss ich mich immer mühsam neu orientieren."
Insgesamt dauert ein Wocheneinkauf für Kieteubl etwa eine Stunde. Er nimmt sich die Zeit und verwendet Hilfsmittel nur im Notfall.
"Ich will die Welt noch spüren und mich so wenig wie möglich in Abhängigkeit begeben und so viel Freiheit wie möglich genießen."
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