Währinger Insektenkönigin
„Entomologie“ heißt die Wissenschaft der Insektenkunde. Das einzige Fachgeschäft dafür befindet sich seit 1907 in der Dittesgasse 11. Es sieht eigentlich aus wie vor hundert Jahren – und trägt doch den modernen Charme der Enkelin des Firmengründers, Hildegard Winkler.
Eingeweihte kommen daran nicht vorbei. Ein zufälliger Passant wird es nicht entdecken, denn nur ein dezentes Schild weist darauf hin, dass sich hier, im Erdgeschoß eines alten Wohnhauses, ein Schmuckstück unter den Geschäften im Bezirk befindet. Schon beim Eintreten wird man von der Atmosphäre gefangen: dunkle Gänge, Schaukästen, Präparate. Schmetterlinge funkeln in den schönsten Farben und überall Käfer, große, kleine, bekannte und Raritäten. Vieles stammt noch aus der Sammlertätigkeit von Großvater Albert Winkler, der auch Autor eines der Standardwerke der Insekten-Klassifizierung, des „Catalogus Coleopterorum Regionis Palaearcticae“, des „Kataloges der Käfer der gemäßigten Klimaregion“, war. Kann man damit Geld verdienen?
Insekten sind kein Geschäft
Hildegard Winkler lächelt: „Die Entomologie war schon immer ein spezielles Fachgebiet, ein Vermögen war damit nie zu machen. Mein Großvater hat das Geschäft aus Leidenschaft geführt. Er war Handelswissenschaftler und hat 1907 einfach ein Käfergeschäft gekauft.“ Der Firmengründer dachte aber auch an praktische Hilfsmittel, um der Insektenforscherzunft das „Handwerk“ zu erleichtern. So erfand er den weltberühmten „Winkler-Gesiebeautomat“, den die Enkelin mit geübten Handgriffen auch gleich vorführt. Es ist dies ein Leinensack mit einem ausgetüftelten Innenleben. Man kann damit Erdproben mit Insekten sammeln, in kleine Netzsäcke füllen, die in den Sack hineingeklammert werden. Zu Hause verschließt man den Sack und wartet, bis die Erde trocknet. Dann kommen die Insekten von alleine heraus, zu sehen durch ein kleines Gläschen, das unten am Sack montiert ist. Der Gesiebeautomat wird seit fast 100 Jahren in alle Welt verkauft, sogar bis nach Neuseeland.
Nadeln für Tätowierer
Frau Winkler ist zwar in den Betrieb hineingeboren, hat aber nie gedacht, das Geschäft zu übernehmen. Nach dem 2. Weltkrieg ging es an ihren Vater über, der es bis 1980, als er aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste, führte. Die studierte Publizistin und Germanistin unterrichtete zu dem Zeitpunkt gerade am Deutschinstitut der Universität Udine und war nicht erfreut, plötzlich wieder nach Hause zu müssen.
„Das Geschäft war so finster und abweisend. Ich wusste mir zunächst auch nichts mit den Insekten anzufangen. Ich hatte dazu keinen Bezug“, erklärt sie. Sie hat die alten Räume entstaubt, die wunderbaren, musealen Bestände geordnet und neues Leben hereingebracht. Dann wurde die Sammlung erweitert und Hildegard Winkler machte sich schnell einen Namen. 2001 kaufte sie das Lager der weltweit führenden Wiener Nadelerzeugung „Arlt“ auf. Die Nadeln werden übrigens auch zum Tätowieren verwendet. Ihr Fundus ist einzigartig. Und das Geschäft mit seiner charmanten Besitzerin ist auch für Nicht-Entomologen einen Besuch wert.
Ulrike Swennen
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