"Über hundert Fälle in Linz-Land und Linz"
ENNS. Seit 2010 ist der in Enns ansässige Verein "ChronischKrank" zentrale Anlaufstelle für kranke Menschen in ganz Österreich. Obmann Jürgen E. Holzinger und seine zehn ehrenamtlichen Mitarbeiter sind in letzter Zeit besonders mit dem Thema der 24-Stunden-Betreuung befasst. "Viele aus- und inländische Agenturen arbeiten mit fragwürdigen bis kriminellen Methoden", sagt Holzinger. "Die Agentur kassiert vom Patienten rund 3000 Euro im Monat für eine 24-Stunden-Betreuung und bezahlt der Betreuerin nur 30 bis 50 Euro pro Tag." Sowohl Patienten als auch Arbeitskräfte würden von den Agenturen nach dem Motto "Wenn Sie sich beschweren, bekommen Sie nie mehr eine Betreuung" beziehungsweise "nie mehr einen Job" unter Druck gesetzt.
Betreuung als Schuldenfalle
Weil die Agenturen bei jedem Wechsel eine Vermittlungsgebühr von der Arbeitskraft kassieren, sind sie bestrebt, die Betreuerinnen möglichst oft auszuwechseln. Darunter leidet die Beziehung zwischen Patient und Betreuerin. "Allein in Linz-Land und Linz meldeten sich bereits über 100 Betroffene beim Verein", erzählt Holzinger. Manche von ihnen berichteten von Diebstahl und anderen groben Verfehlungen. "Das sind jedoch Einzelfälle", betont Holzinger. Ein häufiges Problem sei hingegen die mangelnde Ausbildung der Arbeitskräfte. Zwischen "Betreuung" und "Pflege" bestehe nämlich ein großer Unterschied.
Die meisten Betreuerinnen weisen eine schwer zu überprüfende Kursbestätigung auf, die sie nicht dazu qualifiziert, Patienten mit Pflegestufe 5 bis 7 zu betreuen. "Die Arbeitskräfte sind meist hoffnungslos überfordert. Sie wurden von der Agentur falsch informiert, erwarteten eine 'normale, alte Oma' anstatt einer Person mit hohem Pflegebedarf." Betroffene mit Pflegestufe 7 erhalten pro Monat gut 1600 Euro Pflegegeld vom Bund. 225 Euro Zuschuss vom Bundessozialamt gibt es nur, wenn die Betreuerin ihre Sozialabgaben leistet, was oft nicht der Fall ist. "Viele müssen sich verschulden, um die rund 3000 Euro für die Agentur aufzubringen", so Holzinger. Das Land OÖ und "ChronischKrank" erarbeiteten ein Pilot-Projekt für eine Verbesserung: Die Betroffenen erhalten ein reduziertes Bund-Pflegegeld plus 20 Euro pro Stunde vom Land. Davon gibt die pflegebedürftige Person 16 bis 18 Euro pro Stunde an die Betreuerin weiter. Die Arbeitskraft wird also besser entlohnt und Agenturen entfallen. "Ob das Pilotprojekt weiter läuft, liegt auch am politischen Willen von Landesrat Josef Ackerl sowie am Landeshauptmann", sagt Holzinger. "Wir als Gesellschaft müssen uns darüber klar werden, wie viel Geld uns die Pflege alter und kranker Menschen wert ist. Das ist eine Grundsatzfrage."
ZUR SACHE:
derzeitige Finanzierung der 24-Stunden-Betreuung:
Pflegegeld des Bundes: monatlich 1655 Euro (bei Pflegestufe 7 - weitgehende Bewegungsunfähigkeit);
Zuschuss vom Bundessozialamt: 225 Euro im Monat, sofern die Betreuerinnen Sozialabgaben leisten;
rund 3000 Euro pro Monat kostet die 24-Stunden-Betreuung über eine Agentur;
zum Vergleich: ein Pflegeheimplatz ist meist erheblich teurer (bis zu 7000 Euro monatlich), die pflegebedürftige Person muss sich aber nicht verschulden!
Verein "ChronischKrank":
4470 Enns, Kirchenplatz 3, Tel. 0676 / 7451151 (Jürgen Holzinger), www.chronischkrank.at.
Vom Verein empfohlene Agenturen:
Agentur Polly Slowakei,
Lebenswert Ost Österreich,
Home Instead Schweiz.
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