Nach 105 Jahren in Wien: Zwei Kriege und die Republik
Seit 1934 lebt Hertha Warnecke am Alsergrund. An die Nachkriegszeit kann sie sich noch gut erinnern, auch daran, dass ihre Pokale von Russen gestohlen wurden.
ALSERGRUND. Hertha Warnecke feiert dieses Jahr ihren 105. Geburtstag. Besser gesagt, hat sie ihn schon gefeiert. Für viele ein unvorstellbares Alter. Um das in Relation zu setzen: Als die Republik ausgerufen wurde, war Warnecke bereits fünf Jahre alt. An die Zeiten im Krieg kann sie sich heute nicht mehr erinnern, aber an vieles, was danach kam.
"Der Vater war lange in Kriegsgefangenschaft. Mit dem letzten Roten Kreuzer ist er aus Amerika wieder nach Hause gekommen", erzählt die 105-Jährige. Danach sei er ein anderer Mann gewesen. "Das hat ihn sehr verändert. Als er in den Krieg zog, war ich nur ein paar Monate alt." Das Leben mit ihm sei anstrengend gewesen, da der Krieg nicht nur körperliche Narben hinterlassen habe. "In einem Moment haben wir lustig zusammen musiziert, im nächsten hat es großen Krach wegen einer Kleinigkeit gegeben", erzählt Warnecke. Den Spruch ihrer Mutter hat sie sich bis heute gemerkt: "Kinder, geht’s ins Zimmer. Wir müssen erst schauen, wie euer Vater gelaunt ist."
Leben für das Eislaufen
Ihre Mutter war in Warneckes Augen die beste, die es geben kann. "Ich habe die Nachkriegszeit viel in Holland gelebt, weil meine Mutter der Meinung war, dass es in Wien zu schlimm herging." In Holland sei es ihr gut gegangen. Dort sei sie verhätschelt worden. "Als ich wieder nach Hause kam, sagte meine Mutter: Schau dir das Kind an. Was soll ich damit anfangen?", lacht sie.
Trotz aller Beschwerlichkeiten des Krieges habe die Mutter sie stets gefördert. "Ich war immer beim Engelmann eislaufen und habe auch Turniere bestritten", so Warnecke. Pokale gibt es aber keine zu sehen. "Die haben mir alle die Russen gestohlen." Ein einziger aus dem Jahr 1934 wurde ihr gelassen. Den kleinen silbernen Pokal präsentiert sie mit Stolz. "Nur poliert gehört er wieder einmal." Die Passion des Einskunstlaufens hat sie lange verfolgt. Vor drei Jahren stand sie das letzte Mal auf dem Eis. Da war sie 102 Jahre alt.
Bridge hält fit
Beim Engelmann lernte sie auch ihren Mann kennen. "Ich schwöre dir, sobald ich eine Stelle habe, halte ich um deine Hand an", habe ihr Mann einst auf dem Eislaufplatz gesagt. Mit 17 Jahren heiratete sie also. "Das war auch für damalige Verhältnisse noch recht jung", sagt sie mit einem Grinsen. Von da an hat sie zu Hause den Haushalt gemacht. "Ich habe zwar kurze Zeit im Büro gearbeitet, aber mein Mann war eh bei der AEG."
Heute braucht sie Hilfe im Haushalt, was sie nicht stören dürfte. Aber wie wird man überhaupt 105 Jahre alt? "Ich war immer sportlich und heute spiele ich Bridge. Das hält das Gehirn fit und ist ein gutes Training", ist sie überzeugt.
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