5. April 2017: Charles und Camilla in Wien - Staatsbesuch ohne Staatsbürger
WIEN. Heute ist es also soweit: Passend zum englischen Wetter landet am Nachmittag die Royal Air Force am Flughafen Wien Schwechat mit kostbarer Fracht an Bord. Das britische Thronfolgerpaar, salopp Charles und Camilla genannt, ist allerdings so kostbar, dass es dem gewöhnlichen Bürger unmöglich gemacht wird, einen Blick auf das nächste englische Königspaar zu werfen. Weder die Ankunftszeit noch eine zeitliche Bekanntgabe der Absolvierung der Programmpunkte ließ "der Hof" verlauten. Höchste Sicherheitsvorkehrungen samt Verwirrspiel, in welchem Wiener Hotel sich nun wirklich die noch-nicht-gekrönten Häupter zur Ruhe legen werden sowie die Bekanntgabe der einzelnen Termine, die zwar örtlich dem gemeinen Volk bekannt gegeben wurden, die Zeitpunkte jedoch top secret sind.
Wehmütig denkt man in Wien an den Besuch des Prinzen of Wales mitsamt seiner ersten Gattin Diana im Jahr 1986 zurück. Damals säumten 30.000 Schaulustige die Straßen, um der öffentlich kommunizierten Route des Thronfolgerpaares zu folgen. Zu Fuß spazierte die schüchtern-traurige Prinzessin mit ihrem steif wirkenden Ehemann den Graben entlang, schüttelte Hände und nahm mit geröteten Wangen die Blumensträuße der begeisterten Wiener entgegen. Im Kaufhaus Steffl in der Kärnterstraße wurde dem britischen Thronfolger Tee in einem weißen Plastikbecher angeboten, dessen Aroma dem jungen Prinzen offensichtlich nicht mundete. Offensichtlichkeit - genau dieser Punkt machte den Erfolg des damaligen Staatsbesuches aus und wirft die Frage auf: Was ist ein Staatsbesuch, in dem die Hauptakteure sich nicht den Gastgebern zeigen? Dreifach gesichert finden die Empfänge in Hofburg und Bundeskanzleramt statt, abgeschirmt von den Augen der Öffentlichkeit prostet sich das honorige Ehepaar mit dem einen oder anderen Gläschen beim Bioweinbauer am Cobenzl zu und schnell huschen die Adeligen in den Musikverein, um an einer Probe der Wiener Philharmoniker teilzunehmen, der eine Besichtigung der Orginalmanuskripte von Mozart und Brahms folgt.
Ein Schnappschuss durch das offene Autofenster 1986: Auch die Polizisten hefteten ihre Blicke auf die junge Prinzessin statt auf potenzielle Terroristen.
Auch Journalisten sind unerwünscht - lediglich kurze Möglichkeiten für Foto- und Filmaufnahmen werden vergeben. Da darf man sich schon die Frage erlauben, warum es der Presse unmöglich gemacht wird, über ein relevantes Thema - und das ist ein Staatsbesuch - zu berichten? Hohe Sicherheitsvorkehrungen sind bei solch hohen Gästen nötig, doch alles mit Maß und Ziel - auch in Zeiten des Terrors, den es übrigens gerade in England (Stichwort: IRA) stets gab. Im Vergleich zu den Gästen aus London war der Wienbesuch des PLO-Führers Yassir Arafat bei Bundeskanzler Bruno Kreisky im Jahr 1979 ein Kindergeburtstag. Wenn man in Großbritannien der Meinung ist, dass der Besuch des Prince of Wales und der Duchess of Cornwall das österreichische Volk nicht zu interessieren hat - bitte. Die Ist-mir-wurscht-Mentalität haben schließlich wir Wiener erfunden. In diesem Sinne: Keep calm and carry on.
Hintergrund
Bericht:Prinz Charles und Herzogin Camilla beehren Wien
Ein Lehrstück britischer Zurückhaltung
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