Katharina Stemberger: "Keine Kunst ist unpolitisch"

Am Sonntag, 22. Jänner erinnert Katharina Stemberger um 11 Uhr im Filmcasino an Margarete Schütte Lihotzky. | Foto: www.katharina-stemberger.at
  • Am Sonntag, 22. Jänner erinnert Katharina Stemberger um 11 Uhr im Filmcasino an Margarete Schütte Lihotzky.
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MARGARETEN. Am 23. Jänner wäre die Margaretnerin Margarete Schütte Lihotzky 120 Jahre alt geworden. Die Veranstaltung "Und jetzt?" im Filmcasino erinnert an Österreichs erste Architektin, die international in der Männerdomäne mitmischen konnte - bis ihr Widerstandskampf gegen Nazideutschland ihre berufliche Karriere für immer beendete. Katharina Stemberger wird aus Schütte Lihotzkys Tagebuch vorlesen.

Wieso konnten Sie von der Bezirksvorsteherin Susanne Schaefer-Wiery gerade für diese Veranstaltung gewonnen werden?
KATHARINA STEMBERGER:
Für mich war es eine große Selbstverständlichkeit, zuzusagen. Und auch eine Ehre, da man Margarete Schütte Lihotzky nicht vergessen darf.

Warum?
Sie hat sich exemplarisch zur Wehr gesetzt. Aber Schütte Lihotzky war nicht nur Widerstandskämpferin gegen den Naziterror, sondern auch die erste Frau, die in Österreich nicht nur ein Architekturstudium abgeschlossen hat, sondern dann auch als Architektin sehr erfolgreich war. Sie war eine Pionierin, die immer den sozialen Aspekt berücksichtigt hat. Im Wien der 20er Jahre gab es eine große Wohnungsnot und ess galt leistbaren Wohnraum zu schaffen. Schütte-Lihotzky hat sich zuerst angeschaut wie die Lebensrealität der arbeitenden Klasse aussah, bevor sie einen ersten Entwurf machte. Auch ihre berühmte Frankfurter Küche hat sie aus der Sicht der arbeitenden Frau entworfen. Ihr Blick war immer darauf gerichtet, wie man Menschen das Leben erleichtern kann. Sie war sehr visionär und eine Vordenkerin.

Auch in der Nazizeit hat sie klar Stellung bezogen.
Sie ist mit ihrem Mann 1930 nach Moskau gezogen um dort zu arbeiten und als 1937 ihr Paß abgelaufen ist, hätte sie bei der deutschen Botschaft nur mehr einen neuen für Nazideutschland beantragen können. Das wollte sie nicht und das Ehepaar ging vorerst nach Paris, um dann schließlich ein Arbeitsangebot in Istanbul an der "Akademie der schönen Künste“ anzunehmen. Für uns heute ist ein neuer Pass eine selbstverständliche Banalität. Für sehr viele Menschen entscheidet auch heute der scheinbar„richtige“ Pass über das Gelingen oder Nichtgelingen eines Lebensweges.

Wieso ist sie dann doch wieder in Österreich eingereist?
Sie war eine bekennende Gegnerin des Nazionalsozialismus und war überzeugt, dass sich die Nazis nicht ewig halten werden. Wie hätte sie danach wieder in ihre Heimat zurückkehren können, ohne ihren Beitrag zu deren Sturz geleistet zu haben?

Sie ist aber schnell verhaftet worden.
Ja, ein Spitzel hat sie nach wenigen Wochen verraten. Sie war Mitglied der kommunistischen Partei und hat für die kommunistische Widerstandsbewegung gearbeitet. Es war schon bemerkenswert, dass sie-eine 40jährige Frau mit gutem Job-aus dem sicheren Ausland nach Wien zurückkehrte.

Ihr Kollege Herbert Eichholzer ist ebenfalls verhaftet worden.
Ja, er wurde 1943 im Landesgericht Wien geköpft. Es war bekannt, dass das Fallbein ein bisserl stumpf war... Margarete entging nur haarscharf ihrer Hinrichtung und wurde 1945 von den US-Truppen aus einem bayrischen Zuchthaus befreit. Danach hat sie nie wieder eine Arbeit bekommen - das ist etwas, dass mich wahnsinnig empört und beschäftigt! Sie hätte als Architektin soviel beitragen können. In einem Interview aus den 90er Jahren erzählt die damals schon hochbetagte Architektin, dass aus ihrer Sicht etwa das Reihenhaus mit Garten als Wohnkonzept überholt ist, weil sich die Arbeits-und Lebenssituation der Menschen so verändert hat.

Sie sind auch ein Mensch, der Stellung bezieht. Wie politisch darf Kunst, bzw. ein Künstler sein?
Keine Kunst ist unpolitisch und ich bin ein höchst politischer Mensch. Wenn ein Mensch in eine Zeit hineingeboren wird, kann er sich aus dieser mit all ihren Fragen nicht einfach hinausstehlen. Nicht hinschauen - das ist auch hochpolitisch. Da bin ich streng! (lacht)

Sie sind künstlerisch breit gefächert. Bevorzugen Sie Ihre gehobene Theaterrollen wie in "Jedermann" oder "Mutter Courage" oder haben auch Unterhaltungsfilme wie "Tatort" und "Der Winzerkönig" seine Berechtigung?
Natürlich hat Unterhaltung seine Berechtigung! Eine gute Komödie ist wahnsinnig schwer zu spielen. Es ist wunderbar, wenn man Leute unterhalten kann. Wenn ich meinen Beruf ausübe, stehle ich in gewissem Sinne Menschen Lebenszeit mit dem Ziel, sie zu unterhalten. Ob sie dabei immer lachen, ist eine andere Sache.

Sie sind wie Schütte Lihotzky Margaretnerin. Sind Sie ihr in diesem kleinen Bezirk jemals begegnet?
Nein, leider! Und dass, obwohl sie jeden Tag in der Goldenen Glocke bei mir um´s Eck Mittagessen war.

Wie lange leben Sie schon in Margareten?
Ich bin im 14. Bezirk aufgewachsen und 1997 in den 5. Bezirk zu meinem Mann gezogen. Ich bin begeisterte Margaretnerin und möchte nirgends anders wohnen. Ich bin ein urbaner Mensch und hier passiert sehr viel. Vor 20 Jahren war Margareten noch ein richtiger Arbeiterbezirk, jetzt wird er immer hipper. Sehr viele dunkle und verlassene Ecken werden immer mehr belebt. Auch die Bevölkerung ist durchmischt - es herrscht eine unaufgeregte Vielfalt.

Margarete Schütte Lihotzky, ein weiblicher Bezirksvorsteher, Sie - ist Margareten der Bezirk der starken Frauen?
Ich hoffe es ist der Bezirk der starken Menschen! Wir sind Kreiskykinder, die lange nach dem Motto lebten: "Der Papa wird´s schon richten". Der Papa richt´schon lang nichts mehr! Wir brauchen Vordenkerinnen.

Zur Sache

Die Veranstaltung "Und jetzt?" findet am Sonntag, 22. Jänner um 11 Uhr im Filmcasino Margareten statt. Nach der Eröffung von Bezirksvorsteherin Susanne Schaefer-Wiery liest Katharina Stemberger aus dem Tagebuch von Margarete Schütte Lihotzky. Danach wird die Kurzdoku „Erinnerungen aus dem Widerstand“ von Uwe Bolius und Robert Angst gezeigt und im Anschluss der Videoclip “The Frankfurt Kitchen” von Robert Rotifer.

Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht nötig.

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