Studie zu Wiener Multikulti-Grätzeln: "Gschaftler braucht man einfach"

Die Stadtgeografen Yvonne Franz und Josef Kohlbacher haben eineinhalb Jahre lang drei Wiener Stadtteile untersucht. | Foto: Spitzauer
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MARIAHILF/PENZING/OTTAKRING. Türke trifft Bosnier trifft Somalier trifft Wiener: In Wien wird multikulti gelebt. Aber was braucht es, damit das Zusammenleben auch tatsächlich klappt? Wie wichtig ist der Tratsch am Markt oder beim Gassigehen? Und kennt man sich im Grätzel überhaupt? Forscher der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben dazu Bewohner und Mitglieder von Initiativen in Gumpendorf sowie im Matznerviertel und im Hippviertel befragt.

Verglichen wurden die Ergebnisse mit jenen von Grätzeln in Amsterdam und Stockholm. Was dabei herausgekommen ist? Die Stadtgeografen Yvonne Franz und Josef Kohlbacher im Interview.

Wieso wurden gerade diese drei Grätzel untersucht? Sind das Hotspots in Wien?
YVONNE FRANZ: Nein, aber sie sind vergleichbar: betreffend der Initiativen, die dort aktiv sind, der Herkunftsländer der Bewohner und der Baustruktur. Floridsdorf mit seinen großen Siedlungen mit westlichen Gründerzeitbezirken zu vergleichen, hätte wenig Sinn gemacht.

Bei aller Gleichheit in Sachen Bebauung und Bewohner: Was unterscheidet die Grätzel?
JOSEF KOHLBACHER: Man merkt schon deutlich, ob man sich im 6. oder im 16. Bezirk bewegt. Forschen in Mariahilf war ein Vergnügen. Die Ottakringer waren viel misstrauischer.

Woran könnte das liegen?
JOSEF KOHLBACHER: Am Bildungsniveau. Das ist sogar bei Menschen mit Migrationshintergrund im 6. Bezirk viel höher. Da tun sich sprachlich schon die Kindergartenkinder leichter.

YVONNE FRANZ: Mariahilf ist wie ein Dorf in der Stadt: Man trifft sich beim Wochenmarkt oder Gassigehen und lernt die Nachbarn kennen. Das müssen keine Freundschaften sein, aber man kennt die Gesichter, grüßt sich vielleicht. Das reicht den meisten schon – quasi unverbindliche Verbindlichkeit.

Gibt es so etwas auch in Ottakring?
YVONNE FRANZ: Dörfliche Plätze zum Tratschen fehlen hier. Am ehesten gibt es diese noch am Brunnenmarkt. Die Gegend ist einfach sehr dicht verbaut. Wer kann, schaut, dass er am Wochenende aus dem Grätzel rauskommt: in den Prater oder auf die Schmelz.

Penzing ist ja ähnlich dicht verbaut ...
JOSEF KOHLBACHER: Hier werden zwar auch viele Baulücken geschlossen, es ziehen aber weniger Migranten zu, sondern eher der Mittelstand. Das wird dann eher als Aufwertung wahrgenommen. Außerdem gibt es dort noch immer viel Grün.

Was ist das Um und Auf für ein erfolgreiches Zusammenleben?
YVONNE FRANZ: Der Kontakt zu Entscheidungsträgern. Der 6. und der 16. Bezirk kommen hier besonders gut weg. Man kennt den Bezirksvorsteher und die Leute von der Gebietsbetreuung. Man weiß: Wenn man mit einem Problem wo hingeht, dann kümmert sich jemand darum. Das Gefühl, ernst genommen zu werden, das macht viel aus.

JOSEF KOHLBACHER: Man braucht auch ein Gespür dafür, was die Leute brauchen. Das haben die Bezirksvorsteher, aber auch die Gschaftler, die man im Grätzel kennt. Solche Leute braucht es einfach. In Ottakring etwa hat ein Platz gefehlt, um sich dort zu treffen. In der Herbststraße wurde von der Gebietsbetreuung dafür ein Raum geschaffen. Oder schöneres Grün, wie der Gemeinschaftsgarten im Matznerpark.

YVONNE FRANZ: Garteln ums Eck ist eine echte Perle, auf die wir bei der Analyse gestoßen sind. Beim Bepflanzen der Baumscheiben gab es regelrechte Freundschaftsbekundungen: Man hängt Geschenke hin, hilft beim Bewässern, spendet für neue Pflanzen. Garteln bringt die Leute zusammen. Die Herkunft ist dabei unwichtig.

Macht es einen Unterschied, ob Initiativen von Bürgern oder vom Bezirk gestartet werden?
JOSEF KOHLBACHER: Bürgerinitiativen haben als Push-Faktor schon einmal engagierte Mitglieder. Was man bei Aktionen, die vom Bezirk oder der Stadt gestartet werden, nicht vergessen darf: Leute kommen zusammen, weil sie ein Bedürfnis haben, und nicht, weil sie sich ethnisch mischen wollen. Auf diese Bedürfnisse – sei es Garteln ums Eck oder ein Deutschkurs – muss man eingehen.

Kann Wien von Stockholm oder Amsterdam noch etwas lernen?
JOSEF KOHLBACHER: Man darf den öffentlichen Raum nicht zu sehr unter Druck setzen. Betreffend Matzner- und Ludwig-Zatzka-Park haben wir einige Befürchtungen dazu gehört. Sind zu viele Nutzer auf einem Raum, kann man nicht mehr ausweichen. Konflikte sind dann vorprogrammiert.

YVONNE FRANZ: Auch für Gemeinschaftsräume muss man neue Wege gehen. Sollen solche Räume geschaffen werden, scheitert das oft am Finanziellen oder an Haftungsfragen. Diese starren Regeln muss man über Bord werfen. Dafür braucht es mehr Mut in Wien.

Zur Sache: "ICEC Projekt"

Für das "ICEC Projekt" des Instituts für Stadt- und Regionalforschung an der ÖAW wurden über eineinhalb Jahre hinweg Interviews mit rund 100 Wienern und Mitgliedern von 15 Initiativen in drei Grätzeln geführt. Die Ergebnisse aus dem 6., 14. und 16. Bezirk werden mit jenen von Amsterdam und Stockholm verglichen. Infos dazu gibt’s auf icecproject.com. Im April wird das dazu passende Buch in drei Sprachen veröffentlicht.

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