Beschützer des Weines
Gelebte Tradition in Perchtoldsdorf: 600 Jahre Hiata-Einzug

- Hütereinzug 2011, auf dem Weg zum Kirchberg
- Foto: Walter Paminger
- hochgeladen von Katrin Pirzl
In Perchtoldsdorf, vor den Toren Wiens, wird Tradition nicht nur aufrecht gehalten, sondern gelebt. Der "Hiata" (Hüter)-Einzug feiert heuer sein 600-jähriges Bestehen. Doch wer denkt, dass dieses Fest etwas für "die Alten" sei, liegt falsch: Die Hiata erfreuen sich regsten Zulaufs durch die Jugend.
PERCHTOLDSDORF. "Des guade Glaserl Wein, soll ausgetrunken sein", so geht ein typisches Gstanzl der "Hiata" von Perchtoldsdorf. Das Gstanzl-Singen ist nur eine der vielen Traditionen, die rund um Erntedank in der 17.000-Einwohner-Gemeinde hochgelebt werden.
"Hier in Perchtoldsdorf, am Stadtrand von Wien, bauen in bäuerlicher Struktur 40 Weinhauer auf drei bis zehn Hektar pro Betrieb Wein an",
sagt Karl Brodl sen.
"Wir hier sind Kleinbetriebe, aber das macht den Charme aus. In Perchtoldsdorf beim Heurigen macht der Wirt nicht nur selbst den Wein im Keller, er serviert ihn dem Gast auch noch selbst."
Das mag mit ein Grund sein, wieso die Heurigenbetriebe Perchtoldsdorfs trotz der Nähe zur Großstadt ihre Authentizität bis heute bewahrt haben. Ein typischer Heuriger in Perchtoldsdorf hat zwischen acht bis zehn Wochen pro Jahr offen. Die restliche Zeit verbringen die Weinhauer im Weingarten. Höhepunkt des Weinjahres ist der traditionelle Hiata-Einzug, dem zwischen 3.000 und 5.000 Besucher pro Jahr begeistert bewohnen. Neu ist heuer der "Kinder Hiata-Einzug", bei dem die jüngste Generation einen eigenen Tross im Festzug bildet.
Der "Hiatabam", das Feldzeichen der "Hiata"
Der 28. August symbolisiert den Beginn der schönsten Jahreszeit für Weinhauer: der Lese. An diesem Tag werden vor den sechs "Hiatahittn" (Hüterhütten) in Perchtoldsdorf die typischen Hiatabäume ("Hiatabam"), die optisch etwas an einen Maibaum ohne Bänder erinnern, aufgestellt. Dieser Festakt gibt den Auftakt zu einer langen Reihe an Highlights, die sich durch die folgenden Wochen ziehen. Fulminanter Höhepunkt: Der Hiataeinzug am 6. November, das klassische Erntedankfest der Perchtoldsdorfer Weinhauer. Dieses Fest wurde 2010 in die Liste der UNESCO immateriellen Kulturgüter aufgenommen.

- Baum aufstellen vor der Haspelhütte
- Foto: Helmut Strohmer
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Gelebte Tradition statt Wein-Disneyland
"Es ist kein touristisches Fest", betont Weinhauer Karl Brodl. "Es ist, so wie schon vor 600 Jahren, das Fest der Weinhauer." Das bedeutet natürlich nicht, dass zahlreiche Gäste nicht willkommen sind. "Die Tradition gehört so sehr der Gemeinschaft, sie ist echt. Da ist nichts inszeniert oder kommerzialisiert." Die Jugend drängt nach, will aktiv an der Tradition, der Gemeinschaft teilhaben. "Für die Jugend ist es ein Miteinander. Jeder hat seine Funktion, jeder weiß, wann was ist", so Karl Nigl. "Es ist eine Form des Initiationsritus."

- Hütereinzug 2011, auf dem Weg zum Pfarrhof
- Foto: Helmuth Strohmer
- hochgeladen von Katrin Pirzl
Vergabe der Ämter
Am Beginn der Lesezeit werden die neuen Ämter bei den Hiatan vergeben: "Hiatavoda", "Obahiata", Pritschenträger", um nur einige zu nennen. Wobei letztgenannter es besonders schwer hat: Er muss die "Pritschn", die 80 kg schwere Erntekrone aus Eichenlaub und mit Nussherzen obendrauf, durch den Ort tragen und dabei auch schwingen. Wehe dem, der sie fallenlässt - so einen Fauxpas hört man, glaubt man den älteren Weinhauern, sein ganzes Leben. Jede Funktion innerhalb der Hiata-Gemeinschaft hat man übrigens nur einmal im Leben inne. Und jeder der 40 Weinhauer-Betriebe des Orts stellt abwechselnd den "Hiatavoda".

- Hütereinzug 2009 beim Herbergsvater
- Foto: Walter Paminger
- hochgeladen von Katrin Pirzl
Neue Zeiten, gleiche Probleme
Früher war es die Aufgabe der Hüter, die reifen Trauben vor Diebstahl und Wildfraß zu schützen. Heute sind Diebe nicht das Problem, wohl aber machen die Wildschweine aus dem benachbarten Wienerwald den Perchtoldsdorfer Weinhauern zu schaffen. "Die Wildsauen haben uns in nur einer Nacht einen ganzen Merlot-Weingarten leergefressen", erzählt Karl Nigl. Heutzutage wird das Schwarzwild aber nicht von den Hiatan verscheucht, sondern mittels Wärmebildkameras aufgespürt und von Jägern vertrieben.

- Hütereinzug 1911
- Foto: Archiv Leopold Wurth
- hochgeladen von Katrin Pirzl
Vielseitiges Programm voller Schmankerl
Den Auftakt des Veranstaltungreigens macht "Klingendes Perchtoldsdorf" in der ersten Septemberwoche. Am Freitag und Samstag gibt es bei jeweils fünf Heurigen ab 18 Uhr Live-Musik für jeden Geschmack, am Sonntag laden fünf weitere Betriebe ab 11 Uhr zum Frühschoppen, ebenfalls mit musikalischer Begleitung. Details zum Programm gibt es hier.
Offene Hiatahütten
Am 11. September laden die Weinhauer zum "Tag der offenen Hiatahütten" ab 12 Uhr in die Weinberge, konkret in die Rieden Goldbigel, Haspel und Sossen. Neben Sturm, Most und Kulinarischem gibt es Weingartenwanderungen und Blasmusik.

- Tag der offenen Hüterhütten bei der Haspelhütte
- Foto: Ludwig Distel
- hochgeladen von Katrin Pirzl
600 Jahre Hiataeinzug
Bis zum traditionellen Erntedankfest am 6. November, heuer direkt am Leonharditag, gibt es mit "Echt stürmisch" am 4. Oktober, dem "Huatzeit" Konzert am 23. Oktober und der Weingartenwanderung am 29. Oktober ein vielseitiges Programm rund um den Wein und die gelebte Tradition.
Das Detail-Programm findest du hier
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