Das Leben ist ein Cabaret

Die falsche Zeit, der falsche Ort: im Berlin der frühen dreißiger Jahre hat die Liebe von Clifford Bradshaw (Florian Stern) und Sally Bowles (Nina Proll) keine Zukunft. | Foto: TLT
  • Die falsche Zeit, der falsche Ort: im Berlin der frühen dreißiger Jahre hat die Liebe von Clifford Bradshaw (Florian Stern) und Sally Bowles (Nina Proll) keine Zukunft.
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Das Landestheater zeigt das Broadway-Kultmusical mit einer hinreißend schönen Nina Proll in der Hauptrolle.

Zugegeben, man hat immer das Vorbild im Kopf. Die blutjunge dunkelhaarige Liza Minnelli mit ihrem neckischen Herrenwinker, dem schwarzen Straps-Outfit, ihrem unglaublich kraftvollen selbstbewussten Posing. Daher war es natürlich ein kluger Schachzug des Landestheaters, diese Rolle mit einem Star wie Nina Proll zu besetzen, der Wahltirolerin, dem Vorstadtweib, die singen und tanzen kann und sich wie keine Zweite auf Rollen mit abgründigem Sex-Appeal versteht. Und natürlich wartet man - so wie auch im Film - auf ihren ersten Auftritt. Sie wird uns im Champagnerglas serviert. Wir kennen das Bild, erinnern uns, wie vor einigen Jahren Schwager Tobias beim Opernball auf den Auftritt besagter Burlesque-Künstlerin angesprochen, nur Dieter oder möglicherweise auch Bahnhof verstand. Mit dieser Szene sollte der Familienaufklärung nunmehr Genüge getan sein. Nina Proll ist also Sally Bowles (abwechselnd mit Sophie Berner), der Star des Kit Kat Klubs, ein Nachtfalter mit großen Träumen und Sehnsüchten im brodelnden Berlin der beginnenden dreißiger Jahre, die sich Hals über Kopf in den jungen Amerikaner Clifford Bradshaw (Florian Stern) verlieben und quasi anderntags bei ihm einziehen wird. Weil sich "Maybe this time" vielleicht doch mal ein Happy End ausgehen könnte.

Doch irgendwie ist diese Sally in Carl Philip von Maldeghems Inszenierung im Großen Haus des TLT fast ein wenig zu edel und zu fragil. Sie singt großartig, bewegt sich souverän, ist in jeder Sekunde einfach wunderschön anzuschauen, aber sie bleibt uns seltsam fremd, wir würden gern hinter ihre Fassade sehen. Erst in der Schluss-Szene, wenn ihr beim Singen die Stimme bricht, erahnen wir die ganze Tragik jener Zeit, in der alles persönliche Glück der großen Hybris zum Opfer fiel. Es ist daher einerseits frappierend, aber andererseits auch wieder sehr stimmig, dass ausgerechnet Thomas Lackner als dem etwas verschrobenen jüdischen Obsthändler Herrn Schulz und Ruth Müller als der in die Jahre gekommenen Zimmervermieterin Fräulein Schneider die berührendsten zwischenmenschlichen Szenen im Stück vorbehalten sind. Bei diesem Pärchen, das sich da so putzig-linkisch seine Liebe erklärt und letztlich aufgrund der langsam aber sicher eskalierenden politischen Umstände doch nicht zusammenkommen wird, geht einem regelrecht das Herz auf.

Als Gesamtpaket funktioniert der Abend ohnehin tadellos: nicht zuletzt Dank der grandiosen musikalischen Umsetzung, einem perfekt zusammenspielenden Ensemble, einer überaus kurzweiligen und eindrücklichen Inszenierung. Die von Hansjörg Maringer dirigierte Kit Kat Band mit Stephan Costa am Piano kredenzt die Musical-Ohrwürmer auf überaus erfrischende Weise, Dale Albright fasziniert als dämonischer Conferencier, Florian Stern zeigt Clifford als wohltuend wachen Beobachter und couragierten Zeitgenossen. Die von Tanzcompany-Chef Enrique Gasa Valga choreografierten Kit Kat Girls und Boys bedienen kokett die erwartete Laszivität eines heruntergekommenen Etablissements. Und wenn Martin Lechleitner als junger Nazi „Der morgige Tag ist mein“ anstimmt und so durchs Zuschauerparkett schreitet, zieht es einem regelrecht die Gänsehaut auf.

Wo: Tiroler Landestheater, Rennweg 2, 6020 Innsbruck auf Karte anzeigen
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