Spiel der Täuschungen

Ein beklemmend jetztzeitiger Zukunftsthriller als Kopfhörer-Theater: E. Hartmann, J. Mauracher und E. Hartmann als unheile Familie „im Ausnahmezustand“. | Foto: Theater praesent: Benjamin Schardt
  • Ein beklemmend jetztzeitiger Zukunftsthriller als Kopfhörer-Theater: E. Hartmann, J. Mauracher und E. Hartmann als unheile Familie „im Ausnahmezustand“.
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Theater praesent und Westbahntheater zeigen derzeit in ihren Produktionen, dass vieles ganz anders ist, als es vordergründig erscheint.

Auf den ersten Blick haben die beiden Produktionen – „Im Ausnahmezustand“ des Hamburger Dramatikers und Regisseurs Falk Richter im Theater praesent und „Lapis Lazuli – ein Versprechen“ der niederösterreichischen Krimiautorin und Übersetzerin Eva Holzmair im Westbahntheater kaum etwas gemeinsam. Denn Falk Richters Stück hat etwas von einer beklemmend nahen und doch futuristisch angehauchten Apokalypse, „Lapis Lazuli“, das extra fürs Westbahntheater geschrieben wurde, dockt indes ganz unvermittelt an unser aller Leben im Hier und Jetzt an. Trotzdem umkreisen beide Stücke dasselbe Motiv, spielen sie – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise – mit ähnlichen grundmenschlichen Erfahrungswerten: So tappen wir nicht nur als Zuschauer/innen im Theater, sondern auch im Leben häufiger mal im Dunkeln, entpuppen sich unsere Mit- oder Gegenspieler/innen häufiger mal als ganz anders als ursprünglich gedacht und angenommen.

Freilich schlagen beide Stücke in ganz unterschiedliche Richtungen aus: bei Falk Richter erweist sich die zunächst scheinbar unermüdlich um Verständnis und Verständigung mit ihrem Mann bemühte Frau eher als gnadenlose Opportunistin denn als loyale Partnerin, und Eva Holzmair legt im Gegenzug ziemlich überraschend die einnehmend liebenswerten und engagierten Seiten ihrer Figuren offen. So erscheint die knallharte Karrieristenmutter plötzlich als eine einfühlsam Liebende, die ihrem Mann klammheimlich über getürkte Bilanzen seinen Lebenstraum der Seifensiederei erfüllt hat, der Aufdeckerjournalist entscheidet sich für die Liebe und eine etwas gründlichere Recherche. Selbst Meli, die Hauptfigur, die es zwischen prekärem Job, kleinem Kind, einer grenzüberschreitenden Althippie-Babysitterin und einer möglichen neuen Beziehung nur so hin und her schleudert, wird auch irgendwie ihren Platz im Leben finden.

Bei Falk Richter ist dieser Platz längst abhandengekommen, da gibt es nur noch einen beängstigend engen Hochsicherheitstrakt von Leistungsträger/innen, die sich vor den anderen Ausgegrenzten, welche sich offensichtlich in einer Art Bürgerkrieg befinden, überaus durchdacht abzuschotten verstehen. Ein gefährlicher Platz: Denn wer nicht mehr entspricht, es nicht mehr bringt, läuft Gefahr, aus dem System oder von der eigenen Partnerin herauskatapultiert zu werden.

Julia Kronenberg hat sich in ihrer ersten ambitionierten Regiearbeit für das Theater praesent ganz auf die psychische Ausdruckskraft der Stimme konzentriert, was um so mehr Sinn macht, als ja auch die wirkliche Innenwelt der Figuren weitestgehend wie unter Verschluss erscheint. Daher hat dieses Zuhören über den Kopfhörer und das Verfolgen des reduzierten Spiels schon einen ganz eigenen Reiz, dies um so mehr, als sich Elke Hartmann, Thomas Gassner und Julia Mauracher ganz auf dieses Konzept einlassen. Konrad Hochgruber vertraut in seiner Inszenierung von „Lapis Lazuli“ ganz dem filmhaften Erzählfluss des Stücks und der Spielfreude seines Westbahntheater-Ensembles. Und diese im zeitgenössischen Theater eher seltene Wendung ins konstruktiv Positive hat zuletzt sogar etwas geradezu erfrischend Berührendes und Befreiendes.

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