"Reiß dich zsamm" funktioniert nicht
Der Herbst schlägt vielen Menschen auf's Gemüt. Für psychisch Kranke ist das ein Dauerzustand.
ZELL AM SEE. "Wie geht's dir?" Diese scheinbar harmlose Frage sollte man psychisch Kranken lieber nicht stellen. Das geht gar nicht, weiß Elke Hollaus als Betroffene. Denn: "Entweder man lügt oder trifft auf Unverständnis", ergänzt Franz Struber. "Da hört man dann 'reiß dich zsamm' oder 'anderen geht es noch schlechter'" schildert der Zeller.
Wege aus der Krise
Gemeinsam mit Petra Zimmermann, einer Betroffenen aus Saalfelden, hat er im Jänner dieses Jahres die Peer-Gesprächsgruppe ins Leben gerufen. Seither treffen sich Pinzgauer, die mit einer psychischen Erkrankung kämpfen, einmal im Monat zum Frühstück. Auch wenn es für Betroffene schwierig sei, sich aufzuraffen, werde das Angebot sehr gut angenommen. "Manche Teilnehmer stehen erst am Anfang der Erkrankung und haben noch keine Erfahrung damit, andere haben bereits mehrere Therapien hinter sich und können wertvolle Tipps geben", schildert Struber. Die Treffen sollen Hoffnung vermitteln, Wege aus der Krise zu finden. Aber auch, wer die Krankheit "großteils im Griff" habe, sei nie gefeit davor, abzustürzen. In einer Gesellschaft, die darauf ausgerichtet ist, zu 100 Prozent zu funktionieren, ist das ein schwieriges Dilemma. Mit diesen Voraussetzungen ist es schwer, verständnisvolle Arbeitgeber zu finden. Viele Betroffene haben durch ihre Erkrankung massive finanzielle Sorgen, die sich erst recht belastend auf die Psyche auswirken.
Schwierige Arbeitswelt
Franz Struber arbeitet bei einer Speditionsfirma im Büro und als Kraftfahrer. Teilzeit, denn Vollzeit würde er nicht schaffen, wie er sagt. "Wenn man mich nicht überlastet bin ich ein sehr guter Mitarbeiter, qualifiziert und verlässlich". Er hat einen verständnisvollen Chef und kann sich die Zeiten selber einteilen, das Einkommen reicht aber nicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine Familie zu versorgen wäre unter diesen Umständen nicht möglich. Petra Zimmermann war ein halbes Jahr im Krankenstand, auch sie hatte Glück mit einem feinfühligen Chef, hätte sich aber eine Rückkehr in ein "normales" Arbeitsleben nicht mehr vorstellen können. "Ich bin jetzt in Pension, das war anfangs ein großer Schock, wenn man offiziell zu nichts mehr zu gebrauchen ist".
Tabus brechen
Auch Elke Hollaus ging nach einem längeren Krankenstand in Pension. "Es kostet sehr viel Kraft, immer so zu tun, als ginge es einem gut, besser ist es dazu zu stehen, wenn man keine Leistung erbringen kann", schildert sie. In der Gruppe müsse sie keinen Erwartungen entsprechen, das sei sehr befreiend. Peers sind Experten im Umgang mit der Krankheit und können ihre Erfahrungen für andere nutzen. Ein wichtiges Ziel ist es auch, Hemmschwellen und Vorurteile abzubauen.
Peer Treffen
Das Peer-Center Salzburg ist Träger der Peer-Gesprächsgruppe im Pinzgau. Die Gruppe wurde im Jänner 2016 gegründet, seit August wird ihre Arbeit vom Leaderverein Saalachtal gefördert. Die Gesprächsgruppen mit Frühstück finden jeden ersten Montag im Monat von 9.30 bis 11 Uhr im katholischen Pfarrzentrum in Zell am See statt. Der nächste Termin ist der 7. November, die Teilnahme ist kostenlos und auf Wunsch anonym, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Peers moderieren die Gesprächsgruppen zu zweit, sie stehen den Teilnehmern beratend auf Augenhöhe zur Seite. Neben Petra Zimmermann und Franz Gruber, engagieren sich auch Eva Winkler, Vanessa Lackner, Elke Hollaus und Marion Wenger als Team-Mitglieder. Durch die Vernetzung mit Fachärzten, Vereinen und relevanten Institutionen sehen sie sich als gute Ergänzung des psychosozialen Netzwerks im Pinzgau. Kontakt: franz@peer-zellamsee.at oder petra@peer-zellamsee.at
Das Peer-Center Salzburg
Das Peer-Center Salzburg ist ein gemeinnütziger Betroffenen-Verein, der aus Personen mit Psychiatrie-und Genesungserfahrung besteht. Der Verein sieht sich als eine zusätzliche Betreuungssäule zum psychosozialen und psychiatrischen Versorgungssystem. Unserer Meinung nach braucht es im psychiatrischen und der psychosozialen Versorgungssystem einerseits die fachliche, therapeutische Expertise und andererseits die Erfahrungen und das Verständnis aus Sicht der Peers. Es werden selbstverantwortlich Strategien und Maßnahmen, zur Versorgung und Unterstützungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen, getroffen.
Peers haben aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit und Erfahrungen in den oben genannten Bereichen ein direktes Verständnis für psychische Erkrankungen und den einhergehenden Problemen und können somit auf „Augenhöhe“ Beratung anbieten.
Zu den Recovery-Elementen gehören u.a. Demonstrieren von Hoffnung, Unterstützungen beim Erreichen individueller Ziele und Stärkung der Resilienz. Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Betroffene sich mit uns über psychische Erkrankungen austauschen können, die sie aus Angst vor persönlicher Stigmatisierung und Ausgrenzung, anderen nicht anvertrauen können.
Mit einer pragmatischen Aufklärung über die Krankheitsbilder, Medikamente etc. und der Beratung von Menschen mit psychischen Erkrankungen soll durch Peers ein Überblick geschaffen werden und somit nicht nur die Betroffenen sondern auch das gesamte psychiatrische- und psychosoziale Versorgungssystem entstigmatisieren. Das direkte Verständnis „auf Augenhöhe“ schafft im günstigen Fall den Abbau von Angst und Barrieren.
Inzwischen haben Peers des Verein Peer-Center-Salzburg auch einen Sitz im Psychiatriebeirat und in der Plattform Psychiatrie.
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