Der erste Christbaum bei den Waldbauern... von Peter Rosegger / österreichischer Schriftsteller

Es waren die ersten Weihnachtsferien meiner Studienzeit.
Wochenlang hatte ich schon die Tage,
endlich die Stunden gezählt
bis zum Morgen der Heimfahrt von Graz nach Alpel.
Und als der Tag kam, da stürmte und stöberte es,
dass mein Eisenbahnzug steckenblieb.
Da stieg ich aus und ging zu Fuß,
frisch und lustig, sechs Stunden lang durch das Tal,
wo der Frost mir Nase und Ohren abschnitt,
dass ich sie gar nicht mehr spürte.
Durch den Bergwald hinauf, wo mir so warm wurde,
dass die Ohren auf einmal wieder da waren,
und heißer als je im Sommer.

So kam ich, als es schon dämmerte,
glücklich hinauf, wo das alte Haus,
schimmernd durch Gestöber und Nebel,
wie ein verschwommener Fleck stand,
einsam mitten in der Schneewüste.

Als ich eintrat, wie war die Stube so klein und niedrig
und dunkel und warm - unheimlich.
In den Stadthäusern verliert man ja allen Maßstab
für ein Waldbauernhaus. Aber man findet sich gleich hinein,
wenn die Mutter den Ankömmling ohne alle Umstände
so grüßt: "Na, weil d' nur da bist!"

Auf dem offenen Steinherd prasselte das Feuer,
in der guten Stube wurde eine Kerze angezündet.
"Mutter, nit!" werte ich ab
"tut lieber das Spanlicht anzünden, das ist schöner."
Sie tut's aber nicht.
Das Kienspanlicht ist für die Werktage.
Weil nach langer Abwesensheit der Sohn heimkam,
war für die Mutter Feiertag geworden.
Darum die festliche Kerze.

Als sich die Augen an das Halblicht gewöhnt hatten,
sah ich auch das Nickerl, das achtjährige Brüderlein.
Es war das jüngste und letzte.
"Ausschauen tust gut!" lobte die Mutter
meine vom Gestöber geröteten Wangen.

Der kleine Nickerl aber sah blaß aus.
"Du hast ja die Stadtfarb, statt meiner! sagte ich
und habe gelacht. Die Sache war so.
Der Kleine tat husten, den halben Winter schon.
Und da war eine alte Hausmagd, die sagte es täglich
wenigstens dreimal, dass für ein "hustendes Leut"
nichts schlechter sei als "der kalte Luft".
Sie verbot es, dass der Kleine hinaus vor die Türe ging.
Ich glaube, deshalb war er so blaß, und nicht des Hustens halber.

In der dem Christfest vorhergehenden Nacht
schlief ich wenig - etwas Seltenes in jenen Jahren.
Die Mutter hatte mir auf dem Herde ein Bett gemacht
mit der Weisung, die Beine nicht zu weit auszustrecken,
sonst kämen sie in die Feuergrube,
wo die Kohlen glosten.
Die glosenden Kohlen waren gemütlich,
das knistern in der stillfinsteren Nacht so hübsch
und warf einen leichten Glutschein an die Wand,
wo in einem Gestelle die buntbemalten Schüsseln lehnten.
Da war ein Anliegen, über das ich schlüssig werden musste
in dieser Nacht, ehe die Mutter an den Herd trat,
um die Morgensuppe zu kochen.
Ich hatte viel sprechen gehört davon,
wie man in den Städten Weihnachten feierte.
Da sollen sie ein Fichtenbäumchen,
ein wirklich kleines Bäumlein aus dem Wald,
auf den Tisch stellen, an seinen Zweigen Kerzlein befestigen,
sie anzünden, darunter sogar Geschenke für die Kinder hinlegen
und sagen, das Christkind hätte es gebracht.

Nun hatte ich vor, meinem kleinen Bruder, dem Nickerl,
einen Christbaum zu errichten.
Aber alles im geheimen, das gehört dazu.
Nachdem es soweit taglicht geworden war,
ging ich in den frostigen Nebel hinaus.
Und just dieser Nebel schützte mich vor den Blicken
der uns Haus herum arbeitenden Leute,
als ich vom Walde her mit einem Fichtenwipfelchen
gegen die Wagenhütte lief.

Dann ward es Abend,
Die Gesindleute waren noch in den Ställen beschäftigt
oder in den Kammern, wo sie sich nach der Sitte
des Heiligen Abends die Köpfe wuschen
und ihr Festgewand herrichteten.
Die Mutter in der Küche buk die Christtagskrapfen,
und der Vater mit dem kleinen Nickerl
besegnete den Hof.
Hatte nämlich der Vater in einem Gefäß glühende Kohlen,
hatte auf dieselben Weihrauch gestreut
und ging damit durch alle Räume des Hofes,
um sie zu beräuchern und dabei schweigend zu beten.
Es sollten böse Geister vertrieben
und gute ins Haus gesegnet werden.

Diewelchen also die Leute draußen zu tun hatten,
bereitete ich in der großen Stube den Christbaum.
Das Bäumchen, das im Scheine stand,
stellte ich auf den Tisch.
Dann schnitt ich vom Wachsstock zehn oder zwölf Kerzchen
und klebte sie an die Ästlein.
Unterhalb, am Fuße des Bäumchen,
legte ich einen Wecken hin.

Da hörte ich über der Stube auf dem Dachboden
auch schon Tritte - langsam und trippelnde.
Siewaren schon da und segneten den Bodenraum.
Bald würden sie in der Stube sein,
mit der wir den Rauchgang zu beschließen pflegten.
Ich zündete die Kerzen an
und versteckte mich hinter dem Ofen.

Die Tür ging auf, sie traten herein
mit ihren Weihgefäßen und standen still.
"Was ist denn das?" sagte der Vater mit leiser, langgezogener Stimme.
Der Kleine starrte sprachlos drein.
In seinen großen, runden Augen spiegelte sich wie Sternlein
die Christbaumlichter. -
Der Vater schritt langsam zur Küchentür und flüsterte hinaus:
"Mutter, Mutter! Komm ein wenig herein."
Und als sie da war: "Mutter, hast du das gemacht?"

"Maria und Josef!" hauchte die Mutter,
"was lauter habens denn da auf den Tisch getan?"
Bald kamen auch die Knechte und die Mägte herein,
hell erschrocken über die seltsame Erscheinung.
Da vermutete einer, ein Junge, der aus dem Tal war:
Es könnte ein Christbaum sein ...

Sollte es denn wirklich wahr sein,
dass Engel solche Bäumlein vom Himmel bringen?
Sie schauten und staunten.
Und aus des Vaters Gefäß qualmte der Weihrauch
und erfüllte schon die ganze Stube,
so dass es war wie ein zarter Scheier,
der sich über das brennende Bäumchen legte.
Die Mutter suchte mit den Augen in der Stube herum.
"Wo ist denn der Peter?"

Da erachtete ich es an der Zeit,
aus dem Ofenwinkel hervorzutreten.
Den kleinen Nickerl, der immer noch sprachlos
und unbeweglich war, nahm ich an den kühlen Händchen
und führte ihn vor den Tisch.
Fast sträubte er sich.
Aber ich sagte - selber tief feierlich gestimmt zu ihm:
"Tu dich nicht fürchten, Brüderchen!
Schau, das lieb Christkindl hat dir einen Christbaum gebracht.
Der ist dein!"
Und da hub der Kleine an zu kichern vor Freude und Rührung,
und die Hände hielt er gefaltet wie in der Kirche.

Öfter als vierzigmal seither habe ich den Christbaum erlebt,
mit mächtigem Glanz; mit reichen Gaben
und freudigem Jubel unter Großen und Kleinen.
Aber größere Christbaumfreuden, ja eine so helle Freude
hab ich noch nicht gesehen,
als jene meines kleinen Brüderchen Nicherl -
dem es so plötzlich und wundersam vor Augen traf -
ein Zeichen dessen, der da vom Himmel kam.

Peter Rosegger geb. am 31. Juli 1843 in Alp / Steiermark -
verstorben am 26. Juni 1918 in Krieglach

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