Kultur kurios: Kategorie abgeschafft
Fürs Protokoll: Heute ist der Sonntag jener Woche, in welcher auf dieser Plattform die Kategorie KULTUR abgeschafft wurde.
Es ist der vorletzte Sonntag des Jahres. Wenn ich richtig sehe, steht für Kulturelles nun die Kategorie FREIZEIT zur Verfügung. Ein kühner Schritt in der Zeit, da uns Medien beständig von einer steigenden Sorge, sogar Angst, Einheimischer um unsere “abendländische Kultur“ und unsere „Identität“ berichten.
Das zeugt von einer kuriosen Wechselwirkung. Während also unzählige Eingeborene Österreichs sich offenbar zu lange nicht dafür interessiert haben, daß Selbstverständnis und Selbstbewußtsein allerhand mit einer persönlichen Einlassung auf kulturelle Ereignisse zu tun haben, blenden Medienleute den Begriff aus.
Kultur? Identität? Darum müßte man sich keine Sorgen machen, wenn einem wenigstens nennenswerten Teil der Bevölkerung die eigene Kultur ein ausreichendes Anliegen wäre, ein Anlaß für kulturelles Engagegement. Man kann solches Engagement freilich auch durch „Angst vor Fremden“ ersetzen. Das macht weniger Arbeit.
Ein merkwürdiges Detail in einem gesellschaftlichen Prozeß, der von einem Bildungssystem handelt, das nun schon Jahrzehnte in stets gleichen Krisen feststeckt. Das schlägt allerhand Wellen. Es beschert uns zum Beispiel rund 600.000 bis eine Millionen funktionaler Analphabeten bei einem Staatsvolk von etwa acht Millionen Menschen.
Dazu kommt, daß die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs Jahr für Jahr wankt; 2014 immerhin der drittschlechteste Wert seit 1997. Derweil reden uns manche Schreihälse gerne ein, daß Vertriebene aus verarmten Regionen zweierlei bemerkenswerte Eigenschaften zeigten, sie nehmen uns a) unsere Jobs weg, während sie b) zu faul zum Arbeiten seien und von der Sozialhilfe leben.
Auch solche einheimischen Blödheiten haben mit kulturellen Kompetenzen zu tun, beziehungsweise mit deren Mangel. Das Menschenrecht auf freie Meinung setzt ja voraus, daß man geübt und daher fähig ist, sich eine Meinung zu bilden, statt einfach nur Slogans und Tiraden nachzuplappern. Aber was mag das mit der hier verlorengegangenen Kategorie KULTUR zu tun haben?
Wir sind im Wohlstand bequem geworden. Bildungserwerb hat kein erwähnenswertes Sozialprestige, Wissensarbeit wird schlecht bis gar nicht bezahlt. Sie können heute nicht einmal davon ausgehen, daß ein amtliches Kulturreferat sich aufrafft, kulturpolitische Aufgabenstellungen zu entwickeln, die sich dem derzeitigen Zustand der Welt widmen.
Es ist statt dessen viel komfortabler, sich mit verfügbaren Mitteln eine Repräsentationskultur zu leisten, in der man sich selbst feiert, so lange man es sich leisten kann. Das ist dann auch (Wie treffend!) sehr viel mehr ein Freizeit- denn ein Kultur-Thema.
Gut, in einer Demokratie kann man das, darf man das so gestalten. Ist es auch klug? Die Frage steht auf einem anderen Blatt. Wir erleben eine Zeit, wo Millionen-Völker des wohlhabenden Teils Europas sich von einigen tausend Vertriebenen beunruhigt fühlen. Verunsichert in eben ihrem Kulturverständnis und ihrer „abendländischen Identität“, die mir übrigens kaum jemand erläutern kann.
Das sagt freilich sehr viel mehr über uns, als über die Fremden, denen wir uns derzeit stellen müssen. Aber warum sollte in der Redaktion eines Medienkonzerns der Bereich Kultur hochgehalten werden, wenn Kunst- und Kulturschaffende es selbst nicht ausrechend der Mühe wert finden, solche Plattformen und Medienkanäle zu bespielen, um genannten Themen Sichtbarkeit und Gewicht zu verschaffen?
Diesbezüglich haben wir einigen Klärungsbedarf.
+) Kultur kurios [link]
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