Verein Hemayat
Hier wird Traumata der Kampf angesagt
Seit 26 Jahren therapiert der Verein Hemayat Menschen, denen großes Leid widerfahren ist. Die bz hat mit einer Therapeutin gesprochen.
WIEN/ALSERGRUND. "Er wollte seinen Kindern ein Eis kaufen und der Verkäufer hat zu ihm gesagt, dass er hier keines bekommt. Nur aufgrund seiner Herkunft. So etwas nimmt einen schon mit", erzählt Nora Ramirez Castillo, Therapeutin beim Verein Hemayat und selbst Mutter. Seit zehn Jahren arbeitet sie mit ihren Klienten, die eines allesamt eint: Sie sind traumatisiert durch Folter, Verfolgung oder Kriegsverbrechen.
"Die größte Gruppe, die wir momentan hier betreuen, sind Afghanen", erzählt Ramirez Castillo. Über 1.000 Menschen werden pro Jahr bei Hemayat, einem zum Teil durch Spenden finanzierten Verein, therapiert. "Die meisten haben in ihrem Leben immer wieder traumatische Sequenzen erfahren. Da meine ich Terroranschläge, Fluchtgeschichten aber auch die ständige Angst wenn sie auf das Ergebnis des Asylverfahrens warten", erklärt die Therapeutin.
Aktuelle Ereignisse spürbar
Besonders das tagespolitische Geschehen wirkt sich auf das Klientenaufkommen aus. "2015 in der Flüchtlingskrise hatten wir einen enormen Zulauf. Aber auch die aktuellen Geschehnisse in Afghanistan sorgen bei vielen, die ihre Therapie bereits abgeschlossen haben, zur Retraumatisierung. Wir haben Klienten, die telefonisch erfahren, dass Familienmitglieder in Kabul von den Taliban umgebracht wurden", erzählt Ramirez Castillo. Auch der Terroranschlag vergangenes Jahr in Wien hat das Klientenaufkommen erhöht. "Wenn dann plötzlich wieder die Hubschrauber über der Stadt kreisen, weckt das in vielen Erinnerungen an die eigene Vergangenheit", so die Therapeutin.
Doch wie schafft man es, wenn man dauerhaft mit solchen Schicksalen konfrontiert ist, privat auf Distanz zu bleiben? "In den ersten Jahren bei Hemayat wollte ich keine Zeitungen mehr lesen. Wenn du beruflich die ganze Zeit mit Folter und Verfolgung zu tun hast, magst du dich nicht auch in deiner Freizeit damit beschäftigen", erzählt Ramirez Castello. Als Ausgleich zum Job macht sie Sport oder geht mit Freunden spazieren. "Im Lockdown war ich mit einer Freundin Eisbaden", lacht die Therapeutin.
Lange Wartezeit
Rund zwei Jahre beträgt momentan die Wartezeit, ehe man bei Hemayat einen Therapieplatz bekommt. Wird schließlich einer frei, so müssen die Therapeuten beim Durchtelefonieren der Warteliste oft schmerzliche Erfahrungen machen. "Der eine erzählte mir, dass er bereits einen Suizidversuch hinter sich hat. Der andere wurde abgeschoben und sitzt nun in Kabul fest", so Ramirez Castello.
In Zukunft soll jedenfalls der lange Rückstau abgebaut werden. "Wir planen für den Herbst Gruppentherapien für Erwachsene", erzählt die Therapeutin und ergänzt: "Auch Bewegungstherapien wollen wir umsetzten." Dazu benötigt es allerdings ein neues Büro, denn momentan ist man in der Sechsschimmelgasse auf drei Häuser verstreut.
Dass was für viele Unternehmen der Untergang wäre, wünscht man sich hier sehnlichst herbei: "Unser größter Traum ist es, dass es eines Tages Hemayat nicht mehr braucht, weil es keine Menschen mehr gibt, die durch Folter und Krieg schlimmes Leid erfahren haben", so Ramirez Castello.
Wichtige Informationen
Telefon: +43 1 216 43 06
E-Mail: office@hemayat.org
Adresse: Sechsschimmelgasse 21, 1090 Wien
Öffnungszeiten:
- Mo, Mi, Fr 8 bis 13 Uhr
- Di, Do 13 bis 17 Uhr
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.