Brutale Fehde
So geht die Wiener Polizei gegen den Bandenkrieg vor

- Am Mittwoch kam es in der Brigittenau, aber auch im gesamten Stadtgebiet, zu einer Schwerpunktaktion.
- Foto: Johannes Reiterits/MeinBezirk
- hochgeladen von Johannes Reiterits
Nachdem ein Bandenkrieg in den vergangenen Tagen eskaliert war, setzt die Wiener Polizei mit Schwerpunktaktionen alles daran, für Sicherheit zu sorgen. Die Vorfälle mit Messern seien äußerst brutal gewesen. Man gibt einen tiefen Einblick in die Struktur der beteiligten Clans und die Ermittlungen.
WIEN/BRIGITTENAU. Mittwochabend, kurz vor 21 Uhr, im Herzen der Brigittenau. Die letzten Personen aus der Nachbarschaft eilen über die Stiegen der U6-Station Jägerstraße, um noch rechtzeitig zum Ankick des EM-Halbfinales England - Niederlande zu Hause zu sein.
Doch nicht nur bei den Fahrgästen der Öffis herrscht geschäftiges Treiben, auch die Polizei bereitet sich auf eine größere Schwerpunktaktion vor. Ein Wagen mit Diensthunden fährt vor. Aus einem schwarzen Fahrzeug steigen schwer bewaffnete Organe der Cobra.

- In ganz Wien finden nach den Vorfällen mit Banden am Wochenende Aktionen, wie hier bei der Jägerstraße, statt.
- Foto: Max Spitzauer/MeinBezirk
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Die U-Bahnstation ist genau jener Ort, an der Ecke zur Leipziger Straße, an der bereits im Vorjahr ein brutaler Machetenmord ein Todesopfer zur Folge hatte. Damals ging es um eine Auseinandersetzung innerhalb einer Drogen-Bande. Etwas mehr als ein Jahr später herrscht erneut Großalarm in dem Grätzl. Erst am Freitag gab es im Anton-Kummerer-Park eine Auseinandersetzung mit mehreren Messern. Der Ort des Geschehenen ist nur ein paar hundert Meter von der U6-Station entfernt.
"Es geht hier um gekränkte Ehre"
Nur einen Tag später, in der Nacht von Samstag auf Sonntag, wurden erneut mitten im 20. Bezirk bewaffnete Personen gesichtet. Diese jedoch nicht nur im Park, sondern auch in der Umgebung am Hannovermarkt und in der Klosterneuburger Straße. Die Gründe für die Gewalt sind jetzt viel simpler, als im Macheten-Fall vor einem Jahr: "Es geht hier nicht um Auseinandersetzungen von Banden wegen Suchtgift. Es geht hier um die gekränkte Ehre", erklärt Oberst Dietmar Berger. Seine Einheit im Landeskriminalamt behandelt die Bandenkriminalität in Wien.
Auch ein Vorfall mit Messerangriffen am Sonntag beim Bahnhof Meidling wird der Causa bereits zugerechnet. Mehrere zum Teil Schwerverletzte waren die Folge der drei Tage. Ein blutiges Wochenende also. Natürlich habe man in der langjährigen Polizeiarbeit schon einiges erlebt, so Berger, aber "es ist schon eine andere Qualität, wenn Leute auf offener Straße aufeinander so brutal losgehen", sagt er im MeinBezirk-Gespräch.
Von Clans und Postcodes
Präsenz zeigen, dies könnte eines der Mottos sein, unter welchem die Schwerpunktaktion der Uniformierten steht. Und tatsächlich, obwohl die Sonne gerade untergegangen ist und im Fernsehen ein echter EM-Kracher läuft, sind noch immer Menschen in der Umgebung. Sie nehmen die Polizei wahr. Unmittelbar neben den schwer bewaffneten Beamtengruppen, die sich medienwirksam vor den Journalistentrauben bei der U6-Station vor Einsatzbeginn positioniert haben, versammeln sich auch Schaulustige.
Es sind offenbar Familien mit Kindern, teilweise mit Eis oder Limodosen in der Hand. Doch je dunkler es wird und je mehr Medienleute ihre Zelte abbrechen, desto häufiger nehmen jüngere Männer, augenscheinliche Burschen, die Plätze in der Umgebung der U-Bahnstation ein.

- Schwer bewaffnete Einheiten der Cobra bei der U6-Station Jägerstraße.
- Foto: Max Spitzauer/MeinBezirk
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Doch zurück zu den Auseinandersetzungen. "Bei den Verantwortlichen für die Angriffe handelt es sich um Clans. Es sind Jugendliche, die sich in sozialen Medien absprechen, sich dort verabreden", so Berger. Man verfolge auch bei der Polizei die teilweise öffentlichen Chats, in denen sich aus einzelnen Personen eigene Gruppen bilden. Immer wieder fällt im Gespräch mit dem Kriminalisten die Nummer 505.
Es handle sich um einen Art Code für eine der beteiligten Banden, vorwiegend bestehend aus Syrern. "Die Bande 505 bezieht sich auf den Postcode 505, eine Postleitzahl aus Saudi Arabien", so der Experte zum Hintergrund. Hierbei drehe es sich um einen eher losen Familienclan, ohne wirkliches Oberhaupt, zu dem auch andere Personen immer wieder einmal dazustoßen. "Aber nicht in dem kriminellen Ausmaß, wie man es aus Deutschland kennt. Nochmal wird betont: Das Motiv ist in der Causa nicht Geld oder Suchtgift, sondern die Ehre".
Oberhand auf der Straße wichtig
Und genau diese Ehre sieht die Gegenseite als beschädigt an. Es sei eine Gruppe von tschetschenischen Mitgliedern, ebenfalls eher lose zusammengesetzt als fix rekrutiert. "Die Tschetschenen sehen sich offenbar immer wieder von den Syrern bedrängt. Sie dürften jetzt offensichtlich denken, dass es jetzt reicht", versucht Berger die Beweggründe zu definieren. Es gehe wahrscheinlich auch darum, wieder die Oberhand auf der Straße zu gewinnen.
Wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat: Ein Angriff bei einer eigentlichen Aussprache in Favoriten Anfang Juni. Acht Messerstiche, unter anderem im Genitalbereich und in den Hals, erlitt das Opfer. Der Tschetschene überlebte den Angriff schwer verletzt. Die Attacken auf die 505-Bande scheinen die Antwort der tschetschenischen Gruppe zu sein.

- Unmittelbar neben den schwer bewaffneten Beamtengruppen, die sich medienwirksam vor den Journalistentrauben bei der U6-Station vor Einsatzbeginn positioniert haben, versammeln sich auch Schaulustige.
- Foto: MAX SLOVENCIK / APA / picturedesk.com
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Mit welcher Brutalität diese Fehde jetzt ausgefochten wird, zeigt die jüngste Messerattacke auf eine Gruppe in Meidling. "Zwei der Opfer sind nach wie vor im Spital. Sie erklärten uns, dass plötzlich Vermummte aus dem Nichts vor ihnen standen und mit dem Angriff begannen", erklärt Berger. Die Nationalität war den Angreifern wohl egal: "Es handelt sich bei den Opfern um Afghanen. Scheinbar geht man auch auf andere aus dem arabischen Raum los." Und das Ganze sei brandgefährlich, so der Oberst vom Landeskriminalamt. "Bei den Vorgängen am Freitag in der Brigittenau kamen zwar keine Schusswaffen zum Einsatz bzw. wurden sichergestellt. Jedoch wurden auch 9 Millimeter-Patronenhülsen gefunden."
Die Polizei sieht jedoch auch, dass es in der Community scheinbar zuletzt Friedensverhandlungen gegeben haben könnte. Dass sich die Situation von selbst beruhigt, darauf will man sich jedoch nicht verlassen, versichert man: "Friedensverhandlungen sind gut und zu begrüßen. Jedoch wird dies unsere Arbeit nicht verändern. Für Sicherheit sorgt noch immer die Wiener Polizei".
Tägliche Schwerpunktaktionen
Nicht nur in der Brigittenau, sondern auch in ganz Wien sollen deutlich mehr Beamte bei Schwerpunktaktionen jetzt unterwegs sein, versicher Pressesprecher Philipp Haßlinger. Dazu werden die Bereitschaftseinheiten unterstützt durch Kollegen aus anderen Bundesländern, der Diensthundestaffel, aber auch durch Kriminalbeamte in Zivil und der schwer bewaffneten Cobra. Es sei noch zu früh abzuschätzen, wie lange diese größeren Aktionen im öffentlichen Raum stattfinden werden, so Haßlinger. "Wir als Polizei haben Erfahrung mit solchen Gruppen. Natürlich, die letzten Tage haben ein neues Level erreicht", gesteht er ein.

- Die Polizeipräsenz wird deutlich verstärkt, verspricht man bei der Exekutive.
- Foto: Johannes Reiterits/MeinBezirk
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Wichtig sei jedoch immer, dass die Beamten bei den Aktionen "verhältnismäßig vorgehen", so der Sprecher: "Die Kräfte werden ihre Erfahrung einsetzen. Es wird jedoch zu deutlich mehr Identitätsfeststellungen und andere polizeiliche Maßnahmen durchführen". Es gehe akut einmal darum, "Präsenz zu zeigen, Amtshandlungen durchzuführen und einen hohen Kontrolldruck auszuüben." Zeitnah solle es jedenfalls "täglich Schwerpunktaktionen geben."
Gruppe trifft erneut auf Gruppe
Erste Früchte dieser Aktionen soll auch die Statistik zeigen. So waren bei der Aktion am Mittwoch, aber bereits auch schon am Dienstag, solche Einsätze vonstattengegangen. 453 Identitätsfeststellungen wurden durchgeführt und 38 Anzeigen erstattet, 32 davon waren Verwaltungsstrafanzeigen, sechs wegen gerichtlich strafbarer Handlungen. Auch wurden zwei Waffen sichergestellt.
Der größte Schlag gegen die Bandenkriminalität gab es am Mittwoch: In der Floridsdorfer Bodenstedtgasse sollen zwei Gruppen aufeinandergetroffen sein. Ein 13-Jähriger wurde dabei durch einen Unbekannten mit einem Messer bedroht, dem Tatverdächtigen gelang samt seiner Gruppe trotz Sofortfahndung jedoch die Flucht. Bei dem Vorfall wurde niemand verletzt.

- Die Bilanz der Nacht war unter anderem ein Großeinsatz in Floridsdorf. Hier trafen erneut zwei Gruppen aufeinander.
- Foto: Max Spitzauer/MeinBezirk
- hochgeladen von Johannes Reiterits
Im Zuge dessen wurde ein Schlagring bei einem 17-Jährigen vorgefunden. Ganz in der Nähe fanden die Beamten außerdem ein Klappmesser. Weitere Ermittlungen laufen, der Einsatz soll im Zusammenhang mit den Bandenaktivitäten stehen. "Es darf in Wien keinen öffentlichen Platz geben, an dem sich die Bevölkerung nicht mehr hintraut", versichert wiederum Berger das Engagement seiner Abteilung. "Das sage ich nicht nur als Polizist, sondern auch als Staatsbürger."
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