"Wieder.Lesen": Neubeginn knapp verpasst

Foto: Residenz Verlag

Wunderbar intensiv und eindringlich erzählt der Salzburger Autor Walter Kappacher im Roman "Fliegenpalast" vom zähen Ringen eines Künstlers um einen Neubeginn.

Es ist Sommer 1924, als sich ein 50-jähriger Schriftsteller in den ziemlich glanzlos gewordenen Kurort Bad Fusch zurückzieht. Der Künstler namens H. - dahinter unschwer zu erkennen: Hugo von Hofmannsthal - steckt in einer tiefen Schaffenskrise. Ohne seine Familie, die er im Altausseer Sommerhaus wohlversorgt zurückgelassen hat, hofft er in Bad Fusch wieder konzentrierter arbeiten zu können.
Bad Fusch, das ist für H. seit Kindertagen ein Ort, den er mit überwiegend glücklichen Erinnerungen verknüpft. Dort jedoch hat sich in all den Jahren sehr viel verändert, besonders der Erste Weltkrieg hat die alte Ordnung zerstört und der Verfall ist nicht mehr zu übersehen. Nicht nur im heruntergekommenen "Grandhotel" mit einer aus vergessenen und liegengelassenen Bänden bestehenden Hausbibliothek, so auch an den Bänken, auf denen kaum mehr Kurgäste Platz nehmen, und bei den Gästen selbst, die sich zum Abendessen nicht mehr fein machen, so wie in früheren glamourösen Zeiten, bevor der "unselige Krieg" losbrach.
Auch H. selbst hat sich verändert. Nach einem glänzenden Frühstart zum Star und Liebling der Literaturszene aufgestiegen, erlebt er sich jetzt um seinen fünfzigsten Geburtstag herum als alternder Schriftsteller, dem nichts mehr gelingen will. Die meiste Zeit liest er, geht spazieren und erfindet sich Gesprächs- und Briefpartner oder schmiedet Pläne für die Zukunft. Im Inneren zerissen, wünscht sich H., allein zu sein und ist doch zugleich auf der Suche nach einem Menschen, der ihn versteht. Den ersehnten Gesprächspartner glaubt er im jungen Arzt Krakauer gefunden zu haben, doch der reist schon bald wieder Richtung Wien ab.

"Der Fliegenpalast" ist ebenso ein Künstlerroman wie auch eine Tragödie um knapp verpasste Gelegenheiten. Wer auf ein tröstliches Ende hofft, wird enttäuscht: Trost will Walter Kappacher keinen spenden, nur die Hoffnung lässt er leben ...

Ein "poetischer Realist"

Walter Kappacher wurde am 24. Oktober 1938 in Obertrum, Salzburg, geboren.
Zu schreiben begann er im Jahr 1964. Erstmals veröffentlichte er 1967 einige Kurzgeschichten in der Stuttgarter Zeitung. 1978, nach seinem vierzigsten Geburtstag, entschloss er sich - mit einem Drehbuch-Auftrag in der Hand - ausschließlich vom Schreiben zu leben. Er verfasste eine Reihe von Erzählungen und Romanen, aber auch Hörspiele und Fernsehdrehbücher.
Kappacher ist Mitglied des Österreichischen P.E.N. Clubs, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt sowie Träger eines Ehrendoktorats und hochrangiger Preise wie u.a. des Georg-Büchner-Preises im Jahr 2009, von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen, „ ... für seine hoch musikalische, feinst komponierte und trotzdem gelassene, gleichsam atmende Prosa; für die einer großen Tradition verbundene Genauigkeit des melancholischen Blicks auf Welt und Menschen, der falschen Trost verweigert und gerade deshalb tröstlich wirkt.“

"Der Fliegenpalast"
Roman von Walter Kappacher
Residenz Verlag 2009

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