„Singen statt werfen“

Es gäbe so manchen „wackeren“ Augenblick, der sich tief in meine Erinnerung eingebrannt hat: mein erstes Spiel am Tivoli im August 1990, das überraschende 3:2 des FCS gegen Rapid Wien, trotz Ausschlusses von Alfred Hörtnagl und 0:2-Rückstand. Die unglaubliche Euphorie nach dem Meistertitel 2000, im Stadion, das halb abgebaut wurde, wie auch in der Stadt, in welcher man zu nächtlicher Stunde viele dieser abgebauten Teile wieder sah, etwa eine Eckfahne als Tanzpartner in den Bögen. Das unglaubliche Spiel gegen die jungen Salzburger in Pasching im Mai 2010, das dem FC Wacker Innsbruck den Wiederaufstieg in die Bundesliga bescherte und den kleinen oberösterreichischen Flecken in eine Tiroler Exklave verwandelte. Aber der wohl prägendste Moment waren nicht sportliche Höhen oder Tiefen, sondern eine Fan-Aktion, deren Wert nicht hoch genug einzuschätzen ist…
Die Saison 03/04 brachte dem FC Wacker Tiroler Derbys, Wörgl lautete der Gegner aus dem eigenen Land. Und die Spiele gegen die Unterländer hatten es in sich, nicht zuletzt deshalb, weil auch die „Auswärtspartien“ auf Grund der zu erwartenden Fanmassen im Tivoli ausgetragen wurden. Das erste Aufeinandertreffen in Runde drei bescherte den Innsbruckern den ersten Sieg in der Meisterschaft, eingeleitet durch einen wunderschönen Fallrückzieher von Wolfgang Mair. In Runde 13 erreichten die Schwarz-Grünen ein glückliches 1:0 und konnten somit den Kontakt zur Tabellenspitze wahren. In Runde 24 dann das dramatische 5:2 für Wacker – dramatisch nicht nur auf Grund des Spielverlaufs, führten die Wörgler doch nach 22 Minuten bereits mit 2:0. Dramatisch auch die Szenen rund um den Zusammenprall der beiden Teamkollegen Manuel Pichler und Miron Muslic nach wenigen Minuten. Pichler blieb regungslos liegen. Er hatte seine Zunge verschluckt, der Kiefer verkrampfte, der Wörgler konnte nicht mehr atmen. Die Sekunden verrannen, jede einzelne schien eine Ewigkeit zu dauern. Still wurde es im Stadion, als Wacker-Vereinsarzt Markus Reichkendler versuchte, die Sperre zu lösen. Vergeblich – zunächst. Denn die Nordtribüne hatte mit Pyrotechnik das Spiel eingeleitet, Teile davon lagen noch hinter dem Tor. Und ein Plastikteil eines solchen Feuerwerkskörpers rettete wohl Pichlers Leben, denn der Arzt konnte damit den Kiefer aufstemmen, die Atemwege freimachen. Noch am grünen Rasen kam der Spieler wieder zu sich, konnte auch wieder mit seinem Trainer sprechen. Der Sieg ließ Wacker die Tabellenführung verteidigen, aber ganz ehrlich, das war an diesem Abend für viele Zuschauer nur nebensächlich, zu sehr hatte man sich um den jungen Spieler gesorgt.
Im Vorfeld der vierten und letzten Begegnung war es zu einigen Unstimmigkeiten beim FC Wacker gekommen, wie so oft in Stadien und auf Fußballplätzen quer durch das Land und durch die Geschichte waren Gegenstände von den Tribünen auf das Spielfeld geflogen. Am 11. Mai 2004 sollte gegen diese einzelnen, undisziplinierten und (spät)pubertären Werfer ein Zeichen gesetzt werden, Fans der Nord verlegten für dieses Spiel ihre Heimat auf die Südtribüne und organisierten bei diesem „Auswärtsspiel“ gegen Wörgl eine besondere Aktion: „Singen statt werfen“. Die Kraft der Stimme, das gemeinsame Anfeuern sollte nicht nur den FC Wacker, der bereits als Meister feststand, durch das TV-Livespiel tragen, sondern den vereinzelten und unbelehrbaren Werfern, allen Menschen im Stadion und vor den Fernsehgeräten und vor allem auch den Medien zeigen, dass die Fans eine positive gestalterische Kraft im Fußball sind. Und: es sollte natürlich auch Spaß machen. Von einem Flyer unter der Nordtribüne auf diese Aktion aufmerksam gemacht und vom Slogan „Singen statt werfen“ sofort eingenommen, ging ich mit meinem Kollegen auf die Süd, auf jene Tribüne, auf der ich mein erstes Spiel im Tivoli verfolgt hatte. Ich kannte kaum jemanden, nur Vereinzelte vom Sehen, und befand mich das erste Mal mitten unter „den Verrückten“, wie sie so gerne nicht nur auf Grund des Fanclub-Namens bezeichnet wurden. Es waren vielleicht 200 Wackerianer, die dem Aufruf gefolgt waren, aber diese hatten es in sich. Mit dem ungewohnten Blick auf die besser besetzte Nordtribüne sangen sich die Jungs und Mädels auf der Süd die Stimme aus dem Hals, tanzten, schwangen Fahnen, stimmten Wechselgesänge mit „der Nord“ an. Selbst auf der Osttribüne machte sich ein einsamer Sänger bemerkbar und forderte die „Auswärtsfans“ zum stimmlichen Duell. Dass Wörgl zwischenzeitlich in Führung gegangen war, das störte niemanden, es wurden Chants intoniert, Freude verbreitet, die Mannschaft angefeuert. Das verwirrte auch den ORF-Moderator, der diese wackere Aktion für eine Wörgler Fangruppierung hielt und sie ob ihres so hehren Mottos lobte. Tja, die Schwarz-Grünen sollten sich doch auch ein Beispiel nehmen, meinte man im TV, „Singen statt werfen“!
Im Stadion selbst begab sich die Gruppe von „Exilanten“ auf die Reise zurück auf ihre Tribüne, eine Polonaise singender und tanzender Fans führte über die Sitzreihen der Süd, vorbei an den lachenden Gesichtern der Ost-Besucher bis hin zur Nord. Kaum dort angekommen, bedankten sich die Spieler auf ihre Art bei den Fans: Hannes Aigner versenkte einen Strafstoß in der 90. Minute zum Endstand von 1:1, ein schöner Abschluss für einen außergewöhnlichen Tag im Tivoli.
Es gab sicherlich spannendere Spiele, es gab emotionalere Momente – aber diese positive, Freude verbreitende Aktion der Fans im eigenen Stadion, dieser Spieltag im Auswärtssektor des Tivoli wird mir immer in Erinnerung bleiben: SINGEN STATT WERFEN!

Dieser Beitrag wurde eingesandt von Stefan Weis aus Lienz.

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