Doppel-Kindermord in Absdorf
Rotraud Perner: "Wir haben alle innere Dämonen"

Rotraud Perner ist Juristin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin und sie weiß: "Wir alle haben innere Dämonen." | Foto: robin n. perner
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  • Rotraud Perner ist Juristin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin und sie weiß: "Wir alle haben innere Dämonen."
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Es sind zwei Kinder – 7 Jahre und 7 Monate alt – die von ihrer eigenen Mutter ermordet wurden. Wie Untersuchungen mittlerweile feststellten: die 36-jährige Absdorferin dürfte ihre Kinder ertränkt haben. Wie konnte es soweit kommen, warum hat niemand etwas bemerkt? Groß ist die Trauer in der Tullner Gemeinde, ebenso viele Fragen in den Köpfen von Nachbarn, Freunden und Bekannten. MeinBezirk und die BezirksBlätter haben sie der renommierten Juristin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin Rotraud Perner aus Matzen (Bezirk Gänerndorf) gestellt.

WEINVIERTEL | BEZIRK TULLN | ABSDORF. "Ich bin davon überzeugt, die junge Frau war psychotisch, als sie die schreckliche Tat verübte", sagt Rotraud Perner. Sie kennt sich aus, wenn es um das Thema Gewalt geht und sie weiß: "Eine Psychose kann jeder bekommen, jeder von uns kann in eines solche Situation geraten."

Zwei Arten von Mord

Grundsätzlich ist Mord nicht gleich Mord. Zum einen gibt es den eiskalten, geplanten Mord. Wer diesen verübt, ist seiner Sinne mächtig, im Juristenjargon "zurechnungsfähig". Und dann gibt es den anderen Mord, der aus einer Psychose heraus verübt wird.

"Eine Psychose ist ein besonderer Zustand, eine Ausnahmesituation, in der man nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Oft wissen Menschen, die psychotisch Gewalttaten verübt haben, im Nachhinein nichts mehr davon. Sie sind im wahrsten Sinne ’außer sich’ und nicht mehr zurechnungsfähig",

erklärt Perner.

Ausnahmezustand in Absdorf nach schrecklicher Familientragödie. | Foto: DOKU NÖ
  • Ausnahmezustand in Absdorf nach schrecklicher Familientragödie.
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Frau in psychiatrischer Anstalt

Dass man die Absdorferin nach ihrer schrecklichen Tat – sie hat danach versucht, sich durch einen Autounfall selbst das Leben zu nehmen – nun in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht hat, hat laut Rotraud Perner einen ganz konkreten Grund:

"Der Moment, wenn die Psychose aufhört und die Menschen wieder zu sich kommen, ist schrecklich. Auch die Mutter wird dann realisieren, was passiert ist, was sie ihren Kindern angetan hat. Dann muss man alles daran setzen, sie selbst zu schützen, ihr Leben zu schützen."

Wenn die Seele weint

Mit Extremsituationen geht jeder anders um. In einen psychotischen Zustand zu geraten, kann da schnell gehen und jedem passieren – auch die Folgen sind ebenso unterschiedlich. "Die einen beginnen zu trinken, flüchten in den Alkohol, um zu vergessen. Wer verzweifelt ist, niemanden zum Reden hat und keine Zukunftsperspektiven sieht, kann ebenso in eine Psychose verfallen. Wir wissen auch, Gefangene geraten nach 48 Stunden Einzelhaft in einen psychotischen Zustand", erklärt Rotraud Perner.
Außer sich sein, die Fassung verlieren – Synonyme, die jeder von uns kennt. Und sie beschreiben am Besten die Auswirkungen einer Psychose.

"Das Gefühl, am liebsten tot sein zu wollen, nicht mehr weitermachen zu wollen, kennt fast jeder",

weiß Perner. Die Initialzündung kann vielfältig sein, von einer verpatzten Prüfung, einer Kündigung oder Trennung bis hin zu einem Verkehrsunfall mit Totalschaden, Schulden und Existenzängsten und einem Todesfall reichen.

"Wenn das eigene Lebensmodell zerbricht, braucht man Hilfe, sonst kann es gefährlich werden. Wir alle haben innere Dämonen. In solchen Situationen darf man nicht die Schuld suchen, sondern muss sich die Frage stellen: Was war der Auslöser? Was muss ich tun, damit so etwas nicht mehr passiert?"

Geborgenheit in Gemeinschaften fehlt

Im Falle der Absdorfer Familientragödie ist Rotraud Perner überzeugt, die Lage hat sich über einen langen Zeitraum hinweg zugespitzt.

"Extremsituationen bauen sich langsam auf. Oft merkt das niemand. Die Betroffenen selbst versuchen zudem, meist aus Scham oder falschem Pflichtgefühlt, die eigenen Emotionen unter Verschluss zu halten."

Wenn dann niemand die Not der Menschen bemerkt, es keine Hilfe aus der ausweglos erscheinenden Situation gibt, kann es schnell eskalieren.
"Vor allem dann, wenn auch Vorerkrankungen im Spiel sein sollen, wie man den aktuellen Medienberichten entnehmen kann", sagt Perner. Dann müsse man ganz besonders auf den Betroffenen aufpassen. "Gefragt sind hier etwa Nachbarn, der Trafikant, der Bäcker ums Eck." Und was ist mit der Familie? "Problematisch ist es natürlich, wenn die Ursache für den Ausnahmezustand in einem zerrütteten Familienleben liegt. Auf der anderen Seite hat sich die Familie im Lauf der Zeit verändert. Die Menschen müssen viel arbeiten, in Niederösterreich etwa auch lange Wege dafür in kauf nehmen." Die Geborgenheit der Familie, die früher allein durch die Gemeinschaft entstand – natürlich auch nicht immer nur positiv war – fehle zusehends.

Österreichweite Krisentelefone & Notrufnummern


Bei psychischen oder suizidalen Krisen sowie im akuten Notfall ist es wichtig, rasch Krisentelefonnummern und Notrufnummern bei der Hand zu haben. Hier findest du eine österreichweite Übersicht.

Anlaufstellen

Polizei: 133

Rettung: 144

Telefonseelsorge Österreich: 142

Rat auf Draht: 147 - Telefonhilfe, Notruf und psychologische Beratung für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern und Bezugspersonen

Kindernotruf 0800 567 567 - 24-Stunden Telefonberatung in akuten Krisen sowie Konfliktsituationen

Männerinfo: 08000 400 777 - Telefonische Krisenberatung rund um die Uhr aus ganz Österreich; bei Bedarf auch gedolmetschte Beratung; anonym vertraulich, kostenlos

Männernotruf: 0800 246 247 - bietet Männern in Krisen- und Gewaltsituationen österreichweit rund um die Uhr eine erste Ansprechstelle

Frauenhelpline 0800 222 555 - Rund um die Uhr, anonym und kostenlos. Informationen, Hilfestellungen, Entlastung und Stärkung – auch in Akutsituationen

ö3 Rotes Kreuz Kummernummer: 116 123 - aus allen Netzen zum Nulltarif erreichbar, absolut anonym; täglich von 16 bis 24 Uhr. Die Ö3-Kummernummer ist eine Erstanlaufstelle für alle Menschen in persönlichen Notlagen


Hilfe annehmen!

Wer Sorgen hat, schämt sich oft – ein Umstand, von dem auch Rotraud Perner berichten kann. "Wer verzweifelt ist, kann das nicht immer zugeben. Die Menschen wollen stark sein, sich keine Blöße geben, sich nichts anmerken lassen. Zu groß ist die Angst, durch das Zeigen der eigenen Schwäche auf Ablehnung zu stoßen."
Dabei sei Hilfe zu suchen oder zu bekommen, das Entscheidende, wie die Psychoterapheutin erklärt. "Wenn die Verzweiflung hoch steigt, ist es absolut wichtig, mit jemandem reden zu können. Das kann ein Pfarrer, die Telefonseelsorge, ein Psychotherapeut oder auch ein Wirt sein."
Rotraud Perner hat selbst in früheren Jahren beim Frauentelefon des Hilfswerks in St. Pölten gearbeitet, sie weiß also, wovon sie spricht.

"Sich selbst mit dem Mittel der Sprache ausdrücken zu können, ist wesentlich. Dabei kommen Emotionen zutage. Mit dem Weinen atmet man Teile der Seele aus, man kann den Schwelbrand löschen."

Perspektive für die Zukunft

Mittlerweile seien die Mitarbeiter an Seelesorge- und Notruftelefonen gut ausgebildet. "Die eigene Seele reinigen, das hilft. Die Antworten, die die Anrufer von den Mitarbeitern bekommen, zeigen Zukunftsperspektiven auf, geben Hoffnung, zeigen Wege aus der Not heraus. Denn die Menschen sind in solchen Situationen im totalen Schmerz, sie sind eine einzige Wundfläche, sie können nicht mehr klar denken."
Darum sei es, merkt man Veränderungen bei Nahestehenden, wichtig, einfach da zu sein, die Hand zu halten, in die Arme zu nehmen, das Gespräch anzubieten.

"Niemand braucht in einer extremen Ausnahmesituation kluge Ratschläge. Wer helfen will, das Gefühl hat, etwas unternehmen zu müssen, soll einfach fragen – ein Gespräch anbieten, da sein."

Bewusstseinsbildung schon in der Schule

Wer verzweifelt oder in eine Psychose abzurutschen droht, kann lernen, dies zu erkennen. Dafür und um Bewusstsein für die eigene Psyche zu schaffen, fordert Rotraud Perner seit langem, Minimalwissen über psychische Extremsituationen etwa im Biologieunterricht zu vermitteln.

"Mit bestimmten Atemtechniken und Modellen kann man sich selbst aus einer solchen Situation befreien – diese muss man aber erst lernen."

Ebenso wichtig, sei es bereits in der Schule zu vermitteln, dass Gefühle zu zeigen keine Schwäche ist.

"Wie der große Held auf der Leinwand die Welt rettet oder sich selbst aus der Katastrophe befreit, sieht man schnell. Was jedoch dazu geführt hat, wird selten thematisiert. Dies in den Schulunterricht einfließen zu lassen, etwa in Form von Theatergruppen, ist wesentlich. Tränen entgiften den Körper von Stresshormonausschüttungen – Seufzen und Weinen können also Leben retten!"

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