Akrobat schön, Affentheater oder „Der nackte Wahnsinn“
Schauspieler sind a eigene Rass‘. Zur dieser Erkenntnis kam ich im Teenager-Alter. Ich bin mit einer jungen, damals hippen Theatertruppe schauspielaffin geworden. Also weiß ich über die Befindlichkeit dieser seltsamen Community Bescheid. Ich erinnere mich noch an so manches Ereignis – Zusammenbrüche, heftige Streitereien mit Regisseuren und untereinander, Liebesbeziehungen, die täglich variierten – spannend. An ein Ereignis erinnere ich mich besonders gut. Probe von „Frühlingserwachen“ in der Wiener Arena. Es ist Juli, knapp 28 Grad, die Regisseurin M. mit 38° Fieber im Pelzmantel gehüllt, leitet bis 4 früh eine Beleuchtungsprobe. Eine Person aus der damaligen Truppe ist mir nicht verloren gegangen. Sie ist Mitglied des Josefstadt-Ensembles.
In der Farce „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn offenbart sich die menschliche und schauspielerische Seelenstörung der ganzen Branche. In den Kammerspielen entwickelt sich der gruppendynamische Prozess zum Chaos. Das Theater im Theater scheint aus den Fugen zu geraten. Die Proben haben alle Zutaten für eine desaströse Vorstellung: Dauerorgasmus der AkteurInnen. Man kennt das von Feydeau: Türen auf, Türen zu, Irrungen, Verwirrung, Kontrollverlust – eine verrückte Theaterwelt. Der erste Teil spielt auf der Vorderbühne, der zweite Teil auf der Hinterbühne, wo es ordentlich menschelt. Schrill, Affenzirkus, amokähnliche Ausbrüche. Die letzte Vorstellung wird zum Fiasko. Es spielt jeder gegen jeden und alle zusammen ein Turnier vertrackter Fehlhaltungen.
Im Online-Dienst der „Zeit“ meint der Regisseur der Hamburger Aufführung: „Je fürchterlicher das Stück, je mieser die Pointen, je elender die Schauspieler, desto entfesselter ist der Applaus. „Der nackte Wahnsinn“ erfüllt die self fulfillig prophecy der Lacher-Gemeinde. Wir haben im Alltag ohnehin nicht viel zu Lachen, eine Regierung, die Antidynamik im Programm hat, der Automatismus - wer sich bewegt, ist als Abweichler verdächtig - ein Bildungssystem, das im Koma liegt. Es stimmt schon, alles auf hohem Niveau, aber es nervt schrecklich.
Der Regisseur der Kammerspiele-Aufführung (Folke Braband) hat zu heftig an der Komik gedreht, vor allem im ersten Teil ist ihm das Stück fast in den Klamauk abgerutscht, seine SchauspielerInnen hat er zu sehr ins Lächerliche getrieben. Im Judo wird als erstes gelernt, richtig zu fallen, ohne dass man Kopf und Kragen riskiert. Alexander Pschill muss so einen Trainer gehabt haben. Im 2. Akt wird er zum Akrobaten, der mehr am Boden liegt, als in gerader Haltung seine Rolle zu spielen. Gekonnt tollpatschig rutscht er auf einer Sardinensauce aus, er rennt bzw. stolpert die Stiegen hinauf, gleitet am Geländer hinunter - eine unglaubliche Körperbeherrschung des ehemaligen Hauptdarstellers aus der Serie Kommissar Rex. Ulli Maier ist eine etwas vertrottelte Haushälterin, Alma Hasun spielt eine Tussi, auch leicht bescheuert sind Oliver Huether und Ruth Brauer-Kvam als seltsames Ehepaar mit Steuerschulden, Heribert Sasse mimt einen mit Alkohol zugedröhnten Einbrecher, Michael von Au als Regisseur glaubt, alles im Griff zu haben, die Regieassistentin wird von Eva Mayer dargestellt, und Martin Niedermair ist der Inspizient und damit Mädchen für alles.
Next „Der nackte Wahnsinn“ am 28. und am 29.11. zweimal.
Freunde dieser Genres empfiehlt sich, im Haupthaus Georges Feydeaus "Der Gockel" anzusehen.
Infos und Tickets: www.josefstadt.org
Reinhard Hübl
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