Talent ist nicht messbar

Markus Hengstschläger leitet das Institut für Genetik an der Medizinischen Universität in Wien und ist der wissenschaftliche Leiter des Think Tanks Academia Superior. | Foto: Foto: oövp
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Für Markus Hengstschläger hat jeder Mensch Talente, die unbedingt gefördert werden müssen. Das Alter spielt dabei keine Rolle.

BezirksRundschau: Herr Professor Hengstschläger, in ihrem Buch beschreiben Sie, dass wir uns bei Kindern nicht auf die Schwächen konzentrieren sollen, sondern auf ihre Stärken und Talente. Sonst würde man lediglich den Durchschnitt fördern und keine Innovation. Warum?
HENGSTSCHLÄGER: Ein Beispiel: Sie haben zwanzig Kinder in einem Turnsaal und der Lehrer sagt, es kommt ein Ball und irgendjemand muss ihn fangen. Die Politik sagt, im Durchschnitt kommt der Ball von der Mitte, also stellt euch bitte dort auf. Jetzt stehen die Kinder in der Mitte des Turnsaales und dann kommt der Ball. Die Wahrscheinlichkeit ist ausgesprochen gering, dass jemand den Ball fängt. Besser wäre es, wenn sich jedes Kind woanders hinstellt, denn die Individualität ist das beste Konzept, um uns auf die Zukunft vorzubereiten.

Was heißt das konkret?
Ein Kind kommt nach Hause und hat fünf Noten, vier Nicht genügend – ein Sehr gut. Was sagen die Eltern, die Lehrer und die Politik? Dort wo du das Sehr gut hast, machst du gar nichts mehr. Dort, wo du die Fleck hast, da musst du jetzt lernen. Durch harte Arbeit werden die Kinder möglichst schnell wieder im Durchschnitt ankommen. In dem Fach, wo sie ein Sehr gut haben, werden sie auch Durchschnitt werden, weil sie dort nichts mehr tun.

Talente werden also nicht richtig gefördert?
Es sind genau drei Dinge, die falsch sind. Erstens ist der Talentebegriff falsch. Talent ist nämlich eine nicht messbare Größe. Niemand weiß, was die Leistungsvoraussetzung ist, die ich für die Bewältigung der Zukunft brauche. Für mich hat jeder Mensch Talente. Diese Talente müssen durch harte Arbeit entdeckt werden und durch harte Arbeit in besondere Leistungen umgesetzt werden. Das zweite Problem ist die Bewertung. Wir haben eine völlig verdrehte gesellschaftliche Talentewertung. Drittens ist der Elitenbegriff falsch. Da wir nicht wissen, was die Zukunft bringt und welche Fragen auf uns zukommen, können wir auch nicht wissen, wer eigentlich von uns das Talent für das „Morgen“ hat. Daher brauchen wir jeden und jeder ist Elite.

Was ist mit bildungsfernen Schichten?
Wir müssen kompromisslos alle bildungsfernen Schichten zur Bildung bringen. Wir brauchen auch durch lebenslanges Lernen die Chance, dass jemand seine Talente noch später entdeckt. Es gibt absolute Spitzenkarrieren von Menschen, die erst mit 40, 50 oder 60 Jahren angefangen haben. Es hat noch nie jemand behauptet, dass es für die Entdeckung eines gewissen Talents ein bestimmtes Alter gibt.

Ist unsere Politik Durchschnitt oder gibt es Talente?
Unsere Politik ist am Durchschnitt orientiert. Sie spricht ja auch vom Durchschnittswähler. Ein Politiker ist aber dann talentiert, wenn er seine Überzeugung auch dann zum Ausdruck bringt, wenn er ganz sicher ist, dass er dafür morgen abgewählt wird. Und macht das in Österreich irgendwer?
Wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt, landet man dann nicht in einem Utopia – in einem völlig neuen System?
Natürlich kriegen wir das ohne grundlegende Systemänderung nicht hin. Aber es ist nicht nur eine Bildungssystemänderung. Man muss schon der Wirtschaft und Industrie auch sagen, Leute, wenn ihr sagt, ihr wisst, welchen Lebenslauf ihr braucht, ihr wisst, was jetzt der Jungstar können muss – zwei Sprachen, ein halbes Jahr im Ausland etc. – dann irrt ihr. Denn die kennen auch nicht die Zukunft. Die jungen Leute beschäftigen sich den ganzen Tag damit, dass sie erfüllen, was der Arbeitsmarkt von ihnen verlangt – das kann es aber nicht sein.
Wie sollte unsere Bildung ausschauen?
Bildung ist ein guter Schalter, an dem man drehen kann, aber sicher nicht der einzige. Wenn die Stimmung bei den Eltern, bei Freunden, beim Arbeitgeber nicht gut ist, kann Bildung nicht viel bringen. Prinzipiell ist „anders sein“ besser. Wenn alle verschieden sind, ist jeder individuell und dann ist es am besten. Kinder sollten in ihrem sozialen Verständnis haben, dass es nicht cool ist, wenn sie am Ende des Kindergartenjahres das können, was die anderen auch können.

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