„Neue Markthalle wäre Tod des Naschmarkts“
Susanne Jerusalem, grüne Bezirksvorsteher-Stellvertreterin Mariahilf, über Probleme am Naschmarkt.
bz: Die Mariahilfer Grünen kritisieren, dass sich der Naschmarkt in den letzten Jahren massiv verändert hat.
SUSANNE JERUSALEM: Viele Konsumenten, die früher regelmäßig am Naschmarkt eingekauft haben, gehen mittlerweile nicht mehr hin. Das Marktangebot entspricht nicht mehr ihrer Nachfrage. Es gibt zwar sehr viele Besucher, aber das sind hauptsächlich Touristen, die mit Bussen zum Naschmarkt gebracht werden. Und Touristen kaufen im Normalfall keine Nahversorgungsprodukte. Der Kundenschwund führt zu Umsatzrückgängen und bringt viele Standbetreiber in eine Existenzkrise. Unentwegt sperren Marktstände zu. Vor allem die kleinen Standler, die Obst und Gemüse verkaufen, sind nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber den großen Supermarktketten.
Worauf führen Sie den Kundenrückgang zurück?
Die Leute bekommen am Naschmarkt nicht mehr das, wofür sie sich interessieren – nämlich regionale Produkte aus Niederösterreich oder dem Burgenland. Da weiß man, woher die Nahrungsmittel kommen und dass sie nicht Transportstrecken von tausenden Kilometern zurückgelegt haben. Aufgrund der Marktordnung dürfen solche bäuerlichen Produkte nur an Freitagen und Samstagen am Naschmarkt verkauft werden. Beim „Genussfestival“ im Stadtpark, das ein Mal jährlich stattfindet, werden Spezialitäten aus ganz Österreich angeboten. Die sollte es auch am Naschmarkt geben. Wenn ein Standler etwa Produkte der Genussregion Waldviertel verkaufen will, dann sollte er das die ganze Woche lang tun können.
Die Mariahilfer SPÖ möchte den Wienfluss im Anschluss an den Flohmarkt überplatten und darauf eine Markthalle errichten. Dort sollen genau solche Lebensmittel – also ökologisch produziert und aus der Region kommend – angeboten werden
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Diese Produkte würden auch nachgefragt werden, nur wäre der historische Markt dann tot. Denn kein Mensch geht in die Markthalle, kauft sich Produkte aus den Regionen und geht dann auf den historischen Naschmarkt und kauft sich Petersilie aus der Inzersdorfer Großhalle. Warum sollte das jemand machen? Damit bringe ich die bestehenden Standler um. Eine neue Markthalle zu bauen, ist eine absolute Schnapsidee. Wir sollten den Naschmarkt beleben, und den Händlern die Möglichkeit geben, regionale Produkte zu verkaufen. Dazu brauche ich keine Markthalle, die geschätzte 70 bis 100 Millionen Euro kosten würde. Ich halte die Markthalle für kein zukunftsfähiges Konzept, sonst hätte sie sich längst durchgesetzt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Das haben schon die fehlgeschlagenen Pläne gezeigt, in Wien-Mitte eine Markthalle zu etablieren. Damals fanden sich nicht genug Interessenten. Ich wüsste nicht, warum das am Naschmarkt anders sein sollte.
Sie sprechen sich für eine Änderung der Marktordnung aus. Warum?
Der Naschmarkt muss das anbieten, was die Leute nachfragen. Es darf keine so starren Bestimmungen geben. Man muss die Händler nach ihren Ideen fragen, und sie einfach tun lassen. So könnten kleine Standler auf einer Hälfte ihrer Verkaufsfläche Handel, und auf der anderen Hälfte einen Gastrobetrieb einrichten. Damit könnten sich viele über Wasser halten. Ein wesentlicher Punkt ist auch das Vergaberecht. Wenn jemand einen Stand aufgibt, kann er einen Nachfolger suchen, und eine Ablöse verlangen. Das sind oft horrende Beträge bis zu 900.000 Euro. Nachdem es sich aber um so hohe Summen handelt, die man mit Schnittlauch und Co nicht erwirtschaften kann, kann etwas anderes dahinterstecken. Unter Umständen wird hier Schwarzgeld gewaschen. Wir wissen nicht genau, was sich derzeit am Markt abspielt. Die Stadt Wien wäre gut beraten, dieses Ablöse-Unwesen abzustellen. Ich bin dafür, dass die Leute ihren Stand einfach an die Stadt Wien zurückgeben. Nur wenn Investitionen getätigt wurden, sollen die Standler dafür eine Ablöse bekommen.
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