Episoden aus meinem Leben - der Ordensmann
Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich einen Beitrag doppelt veröffentlicht habe.
Anbei der Ersatz:
9. Splitter - Ich bitte um einen passenden aussagekräftigen Titel
Ich bin jetzt zweiundzwanzig Jahre alt und freue mich darauf, endlich der Abgeschiedenheit des Noviziats zu entkommen und wieder mehr am öffentlichen Leben teilzuhaben. Wenn man nach dieser klösterlichen Probezeit weiterhin Ordens-Priester werden will, ist man zwar den strengen Regeln des Klosters verpflichtet, aber etwas mehr Freiheit gibt es doch.
Ich immatrikuliere also an der Theologischen Fakultät Innsbruck, um den üblichen Ablauf des Studiums zu beginnen. Das sind zuerst zwei Jahre Philosophie aus katholischer Sicht und anschließend drei Jahre katholische Theologie. Ja das ist der Plan, denn ich will vorrangig die Befähigung zum Priester erreichen. Allerdings will ich bei dieser Gelegenheit auch erkunden, was mir der Glaube bedeuten kann und welche speziellen Aufgaben ich gerne übernehmen möchte.
Aber wie verläuft es tatsächlich? Ich nehme - sage und schreibe - an einer einzigen Lehrveranstaltung - abgehalten in zwei Unterrichts-Stunden - teil. Und zudem ist diese Vorlesung in einem exotischen, nicht verpflichtenden Fach, nämlich dem der hebräischen Sprache. - Warum? Nicht weil ich das Interesse verloren hätte, sondern weil mein Körper mich behindert.
Kann sich jemand vorstellen, wie deprimierend es für mich ist, dass gerade jetzt wieder eine Phase der Kopfschmerzen über mich hereinbricht. Sie ist auf meine in jugendlichen Jahren erlittenen Gehirnerschütterungen zurückzuführen, die mich schon zwei Jahre in meiner schulischen Laufbahn gekostet haben. Abgesehen davon, dass das also nichts Neues für mich ist, hilft mir offensichtlich der angesprochene Glaube gerade jetzt: "Es ist göttliche Bestimmung, dass ich wieder einmal eine Pause einlegen muss. Wer weiß, wofür das im Endeffekt gut ist?"
Und es lässt sich gut an: ich werde - wie es im Klosterjargon so nett heißt - nach Kärnten in das Serviten-Kloster ganz nahe zu Osttirol 'versetzt'. Da wir Klosterinsassen keine eigene Familie haben und nicht viel besitzen (dürfen und wollen), sind wir ja recht flexibel und einfach austauschbar. Ich 'sitze' also dort und darf mich anfangs fast ausschließlich auf meine Genesung konzentrieren. Die ruhige ländliche Umgebung fördert meine Erholung und bringt für mich in der Folge kleine Aufgaben mit sich. Als Mesner kann ich mich nützlich machen und dann sogar als Vertretung vom Pater Prior im Religionsunterricht. Anfangs ist mir etwas mulmig zumute, aber die Schülerinnen und Schüler sind folgsam und unverdorben. Und unverdorben bin ich ja auch.
Eines Morgens überrascht mich der Pater Prior mit dem Angebot, mit ihm in das klostereigene Südtiroler Weingut zu fahren. Für mich tun sich dabei einige neue Erkenntnisse auf: wie schön und abwechslungsreich Südtirol ist und vor allem, dass man im Kloster der Diener Mariens trotz des Gelübdes der Armut und trotz der Einreihung unter die 'Bettelorden' Güter besitzen kann. Freilich gilt das nur für die Gemeinschaft und nicht für die Einzelperson. Das fällt zwar bei einem Klostergebäude oder einer Kirche nicht so auf, weil diese Besitztümer einfach notwendig sind, um die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Ein bisschen anders ist das bei einem Weingut, denn das produziert ja nicht ausschließlich Messwein. Dabei können die verantwortlichen lokalen Oberen nach eigenem Ermessen schalten und walten, müssen aber ihrem territorialen Vorgesetzten, dem Pater Provinzial, Bericht erstatten. In der Folge haben sie auch damit zu rechnen, zurückbeordert oder sogar versetzt zu werden, wobei die 'erworbenen Rechte' nicht tabu sind. Sie werden durch andere ersetzt oder komplett gestrichen.
Ich freu mich also, auf 'unserem' Weingut einen guten Tropfen kosten zu dürfen. Auch auf der Rückfahrt kehren wir ein und trinken zu einer typischen Südtiroler 'Marende', einem Graukäse in Essig und Öl, einen vom Pater Prior gut ausgesuchten Silvaner, ich ein Viertel, er - weil er Auto fährt - nur ein Achtel. Ich bin begeistert, auch solch angenehme Seiten des Klosterlebens kennen zu lernen.
Für mich sind das Ausnahme-Situationen, für den älteren Pater Gabriel gehört derartiges offensichtlich zum Alltag. Manchmal nimmt er mich mit in ein nahegelegenes Gasthaus, wo er täglich seine zwei Viertel
Rotwein trinkt. Anfangs bin ich als ‘Frischg’fangter’ aus der strengen klösterlichen Probezeit etwas skeptisch, kann mich aber zurückhalten, bevor ich es mir irgendwie anmerken lasse. Gerade mir steht es nicht zu, einem nahezu Achtzig-Jährigen etwas vorzuwerfen. Weiß ich, worauf ich in diesem Alter zurückblicken darf oder muß und was ich machen werde? Der Kernteil meines Lebens liegt noch vor mir.
Pater Gabriel genießt übrigens das Privileg, einen Bart tragen zu dürfen. Der läßt ihn in seiner Länge recht majestätisch aussehen. Ich darf mir nach einer neuen Ordensregel keinen Bart wachsen lassen, worauf ich auch locker verzichten kann. Ich kenne nur einen Mitbruder in meinem Alter, der einen Bart zugestanden bekam, weil nämlich sein Gesicht - als er ein Kind und in Indien war - von Ratten angefressen wurde. Auch verständlich!
Unternehmungslustig wie ich bin, freue ich mich sehr darüber, dass mir der Pater Prior, auch Seelsorger des Ortes, die Aufgabe überträgt, die hiesige Jugendgruppe zu betreuen. Einer der Jungmänner kommt auf die glorreiche Idee, ein Theaterstück, ein ländliches Liebesdrama, einzustudieren. Alle sind Feuer und Flamme und ersuchen mich, die Proben zu leiten. Ich bin einverstanden und vermittle wortreich meine Vorstellungen zu den einzelnen Szenen. Ich spiele also den Regisseur, zu dem ich aber auch erst heranwachsen muss. 'G'schamig' wie die Landjugend eben ist, können sie meinen Ausführungen, wie ich mir die eine Kussszene vorstelle, nicht umsetzen. Als mir alle Argumente ausgehen, nehme ich - in meinem Ordenshabit - den Platz des Liebhabers ein und zeige in natura, wie man so etwas macht, natürlich ohne den Kuss tatsächlich auszuführen. Das bringt mir Applaus und dem jungen männlichen Darsteller die Erkenntnis, wie er dieses Unterfangen angehen kann.
Man schätzt mich immer mehr und bittet mich, auch zu den beiden Aufführungen in Lienz als moralische Stütze mitzufahren. Ich revanchiere mich damit, dass ich im Laufe der Theaterpausen in meiner Festtags-Kutte das Publikum mit Witzen unterhalte. Natürlich dürfen diese nicht frivol sein, aber solche fallen mir ohnehin nicht ein.
Einen Schreckensmoment gibt es noch: nach der Aufführung gehe ich im Kreise der Darstellerinnen und Darsteller über den Platz zum Bus. Da ich nur Halbschuhe und kein passendes Schuhwerk trage, rutsche ich auf dem spiegelblanken Glatteis aus und taumle in die Arme meiner Begleiter, die rechts und links von mir gehen. Die sind stark und standfest genug, mich vor einem Sturz zu bewahren. Für alle Umstehenden ist es ohnehin ein Bild nicht nur zum Schmunzeln, sondern eher zum Hellauf-Lachen. Nicht alle Tage sieht man einen Ordensmann in voller, frisch gebügelter 'Montur', der mit seiner schlenkernden Kutte, dem am Gürtel baumelnden Rosenkranz, dem langen raumgreifend in der Luft wehenden Skapulier und der aus der zentralen Position verrutschenden Kapuze herumtorkelt. Das Skapulier ist übrigens jener Teil des Ordensgewandes, der mit einem Ausschnitt für den Kopf über die Schulter gelegt vorne und hinten bis zum Boden hinunterreicht. Es soll die Knopfreihen im Brustbereich verdecken, wenn ich das richtig interpretiere. Man kann auch seinen Bauch etwas dahinter verbergen, wenn das dem Erscheinen zuträglich ist.
Also alles in allem ein verheißungsvoller Beginn dieses Karenz-Jahres.
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