Kritik trotz Kursen
Wie Analphabeten durch Mittelschulen geschleust werden

- Kopfzerbrechen in Schulen (Symbolfoto): Im vergangenen Schuljahr 2022/23 absolvierten laut Bildungsdirektion 134 Schülerinnen und Schüler eine Alphabetisierungskurs.
- Foto: Foto: Karl Ettinger
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Die Radikalisierung von Schülerinnen und vor allem Schülern und die Gewalt an Schulen ist gerade erst in den Fokus gerückt. Schulleiterinnen und -leiter sowie die Lehrkräfte an Wiener Mittelschulen kämpfen allerdings gleichzeitig mit einem anderen Problem, das sich verschärft. Selbst Schüler, die praktisch Analphabeten sind, im Alter zwischen 10 und offiziell 14 Jahren, steigen gerade in Bezirken mit einem hohen migrantischen Bevölkerungsanteil bis zur vierten Klasse auf, wie die Schilderung eines Direktors einer Mittelschule in der Nähe des Westbahnhofs zeigt. So wurde seiner Schule ein Schüler aus der Ukraine aus dem 11. Bezirk zugewiesen. Der Bursch ist nun in einer Mittelschul-Abschlussklasse, weil er in Simmering bei den vorgeschriebenen Deutschtests mit der Bewertung mangelhaft aufstiegsberechtigt war. Die Realität schaut anders aus. „Der ist zu mir gekommen und hat nichts gekonnt“, erläutert der Leiter dieser „Brennpunkt-Schule“ in Westbahnhof-Nähe, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Für den obersten Lehrervertreter an den Wiener Pflichtschulen, den Christgewerkschafter (FCG) Thomas Krebs, ist das beileibe kein Einzelfall: „Das ist ein Riesenthema.“ In den Wiener Pflichtschulen kämen auch während des laufenden Schuljahres neue Schüler aus dem Ausland dazu. „Da sind immer wieder Schüler dabei, denen die grundlegenden Kulturtechniken fehlen“, stellt er fest, die also weder lesen, noch schreiben noch rechnen können. Der erfahrene Mittelschuldirektor pflichtet bei: „Da geht’s darum, alphabetisiert zu werden.“ Bei den sogenannten Mika-D-Tests, die nach Schulbeginn und vor dem Ende eines Schuljahres vorgeschrieben sind, gibt es bei der Deutschkompetenz die Bewertungen unzureichend, mangelhaft sowie ausreichend, wobei aber auch bei mangelhaft mit Konferenzbeschluss ein Aufsteigen in die nächste Klasse ermöglicht. Laut Wiener Bildungsdirektion waren im vergangenen Schuljahr 2022/23 in Wien 134 Schülerinnen und Schüler in Alphabetisierungskursen.
"Die einen fadisieren sich, andere checken nichts"
An seiner Mittelschule seien es vier Schüler, die praktisch als Analphabeten zugewiesen worden seien, erklärt der Mittelschulleiter. Dabei haben zwei in ihrer Heimat schon manuell gearbeitet, um zum Erhalt der Familie beizutragen. Der eine Bursch aus Syrien war Friseur, auch ein anderer habe bereits gearbeitet, schildert der Schulleiter, der namentlich nicht genannt werden möchte. Wobei auffällig sei, dass betroffene Schüler häufig am 1. Jänner eines Jahres geboren worden seien, weshalb auch bezweifelt wird, dass sie überhaupt noch im Mittelschulalter und nicht älter sind.
Die vier Schüler „tun sich total schwer. Das Schlimme ist, die sitzen jeden Tag von 8 bis 12 Uhr in der Deutschförderklasse“, erläutert der Schulleiter: „Eigentlich bräuchten die einen Privatlehrer.“ Stattdessen würden sie auf Förderklassen aufgeteilt, wo dann beispielsweise Kinder ohne jegliche Bildung mit ukrainischen Kindern, die in Mathematik oder Englisch zu den Besten in seiner Schule zählen, gemeinsam unterrichtet werden. Mit nachteiligen Folgen für beide Gruppen je nach Lernfortschritt: „Die einen fadisieren sich dann, die anderen checken gar nichts.“
Gewerkschafter Krebs schlägt in die gleiche Kerbe: „Da müsste es ein Ersatzprogramm außerhalb der Schule geben.“ In Wien gebe es das Credo, jedes Kind zu „beschulen“. Das sei ein „absolut guter Gedanke“, sagt Krebs: „Dieses Credo heißt aber, es braucht mehr Ressourcen.“ Laut dem obersten Wiener Pflichtschullehrervertreter häufen sich inzwischen die Beschwerden über Analphabeten unter den Schülern. Er hält das auch noch aus einem anderen Grund für sehr bedenklich: „Ein Schüler, der nichts versteht und nichts schreiben kann, ist gefährdeter bezüglich einer Radikalisierung“. Krebs sieht dabei den Zusammenhang zu seiner jüngsten Warnung vor zunehmenden religiös-extremistischen Tendenzen unter den Schülern bis hin dazu, dass Burschen sich als „selbst ernannte Sittenwächter“ für Mädchen sehen.
134 Schüler waren 2022/23 in Alphabetisierungskursen
Aus Schulkreisen heißt es, dass es derzeit zumindest 100 bis 200 Analphabeten an Wiener Schulen gebe. Nach Ansicht des Mittelschuldirektors dürften es sogar mehr als 200 sein. Grund dafür ist die Art der Zählung. Denn der Status als außerordentliche Schüler, unter dem auch solche Analphabeten geführt werden, laufe nach zwei Jahren aus. Sie tauchen demnach in offiziellen Statistik nicht mehr auf. Sein Fazit: „Damit wird die ganze Statistik geschönt.“
In der Bildungsdirektion Wien wird auf Anfrage jedenfalls betont: "Schülerinnen und Schüler, die die neunjährige Schullaufbahn in Österreich durchlaufen, können beim Verlassen der Schule lesen und schreiben. Kinder und Jugendliche, die aus Flüchtlingslagern oder Kriegsgebieten nach Österreich kommen und auch zum Teil In ihren Erstsprachen nicht alphabetisiert sind, werden in Wien in so genannten Alphabetisierungskursen gefördert."
Das Angebot der Alphabetisierungskurse für Schülerinnen und Schüler sei in Wien einzigartig und werde vom Sprachförderzentrum der Bildungsdirektion geleistet, wird weiters festgestellt. Die Bildungsdirektion nennt dazu auch eine genaue Zahl: "Im Schuljahr 2022/23 waren 134 Schüler/innen in den Alphabetisierungskursen."
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