Simmering: Wir wollen selbst entscheiden!
Menschen mit Lernschwierigkeiten gründeten das Selbstvertretungszentrum in Simmering, um sich für ihre Rechte einzusetzen. Im vergangenen Jahr gewannen die engagierten Selbstbestimmer den Förder-Inklusionspreis.
Menschen mit Lernschwierigkeiten möchten nicht als geistig behindert gesehen oder bezeichnet werden. Um selbst über sich und ihre Rechte zu bestimmen, gründeten einige nach 13-jähriger Anlaufzeit im WUK im 9. Bezirk das Selbstvertretungszentrum (SVZ). Seit 2016 befindet sich das Zentrum in Simmering, auf der Simmeringer Hauptstraße 30-32.
"Im WUK mussten wir immer viele Stufen steigen. Wir haben etwas gesucht, was barrierefrei ist", erzählt Oswald Föllerer, einer der Gründer. "Es gibt keinen Chef, wir sind alle im Leitungsteam", erzählt Iris Kopera. "Wir", das sind vier: Maria Schwarr, Günther Leitner, Iris Kopera und Oswald Föllerer. Gemeinsam bestimmen sie in Teamsitzungen die Vorgehenesweise des Selbstvertretungszentrum.
Zur Seite stehen ihnen dabei zwei professionelle Unterstützerinnen – Susi Bali und Anna Voggeneder. Sie helfen unter anderem bei Projekten und Tagungen mit.
Alle Aufgaben gut verteilt
Alle haben ein eigenes Aufgabengebiet. So hat Iris Kopera die Ausbildung zur Peerberatung gemacht, die die 39-Jährige bald im SVZ starten möchte. Außerdem ist sie für die Teamentwicklung und Supervision zuständig.
Sie arbeitet auch als Portrait-Malerin beim Verein "Balance - Leben ohne Barrieren" und ist sehr selbstsicher: "Wenn ich was nicht verstehe, dann melde ich mich immer und sage, sie sollen das bitte in einfacher Sprache sagen!"
Maria Schwarr schreibt Protokolle und Berichte und macht die Urlaubsplanung. "Ich leite die Frauengruppe und möchte gerne Frauenbeauftragte sein", so die 56-Jährige.
Günther Leitner kümmert sich unter anderem um das Büro und die Handkassa, außerdem leitet er die Männergruppe, die sich einmal im Monat hier trifft. "Und ich möchte gerne die Fußball-Trainer-Prüfung machen", so der 50-Jährige.
Politisch mitmischen
Föllerer ist der Umtriebigste von allen. Der 62-Jährige ist alleinerziehender Vater von zwei Buben. "Einer ist bereits ausgezogen, er ist 21. Der zweite ist erst 15, den haben sie jetzt in eine WG gegeben, aber die Obsorge hab ich noch!", erzählt er. Föllerer ist auch Obmann von "Vienna Peaple First", einem Verein, der sich der Selbstvertretung widmet.
"Und er ist sehr politisch", so Leitner, der sein Stellvertreter beim Verein ist. Föllerer war unter anderem dreieinhalb Jahre in der Arbeitsgruppe vertreten, die für das neue Erwachsenenschutzgesetz verantwortlich ist. "Das ist viel besser als vorher mit den Sachwaltern. Wir Menschen mit Lernschwierigkeiten haben jetzt mehr Selbstbestimmung. Früher hat man den Sachwalter wegen jeder Kleinigkeit fragen müssen, auch ob man ein Interview geben oder sich fotografieren lassen darf", erzählt Föllerer, der selbst nicht besachwaltet ist.
Ganz stolz sind alle vier auf den Förderpreis des Inklusionspreises, den sie Ende des vergangenen Jahres erhalten haben. Der Preis war mit 5.000 Euro dotiert. "Wir wollten nach Hawaii, aber das geht nicht", scherzt Leitner. "Wir haben einen neuen Drucker gekauft und neue Tische, die sind barrierefrei mit Rollen", so Föllerer. "Die Tische müssen wir jetzt immer rausschleppen, wenn wir eine Gruppe habe, das ist schwer", so Kopera.
Barrierefreiheit ist dem Team wichtig. Im Fall Menschen mit Lernschwierigkeiten bedeutet das vor allem, Vorträge und Schriftstücke in leichter Sprache, "damit wir es auch verstehen und keinen Übersetzer brauchen.".
Info: http://www.svz.wien/
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