Lost places in Wien: Neues Buch über vergessene und geheime Orte
Das Buch "Wien streng geheim!" bringt vergessene Orte zurück ans Tageslicht. Die bz bat Autor und Historiker Johannes Sachslehner zum Interview über Morbidität, Nostalgie und warum Adolf Hitler seinen Führerbunker in Wien nie benutzt hat.
Wieviele vergessene Orte, offiziell "lost places" genannt, gibt es in Wien?
JOHANNES SACHSLEHNER: Robert Bouchal und ich haben in unserem Buch nur eine kleine Bandbreite von 35 Orten vorgestellt. Die Anzahl ist aber nach oben offen.
Ab wann gilt ein Ort als lost place?
Eigentlich sind 2, 3, 4 Jahrzehnte Leerstand Mindestanforderung. Aber es gibt auch Ausnahmen, wie die ehemalige Sargfabrik in Atzgersdorf. Die steht erst seit rund zehn Jahren leer und ist trotzdem schon ein lost place.
Welche Orte stellen Sie in Ihrem Buch vor?
Das vergessene Teleskop im Sternwartepark, den Schirachbunker im Gallitzinberg, den Keller des Finanzministeriums oder den Führerbunker unter dem Hotel Imperial - um nur einige zu nennen.
Unter dem Hotel Imperial hatte Adolf Hitler einen Bunker bauen lassen?
Nicht direkt darunter, sondern daneben unter der Dumbastraße. Benutzt hat er ihn aber nie. Hitler war das letzte Mal 1941 in Wien und danach baute man diesen Bunker für Notfälle. Er kam aber nie wieder nach Wien.
Haben Sie zu diesen Orten überall Zugang erhalten?
Nein. Zum Bunker etwa nicht, der wird als Ablagefläche genutzt. Auch den Schirachbunker im 16. Bezirk kann man nicht betreten, der ist aus Sicherheitsgründen vermauert. Ansonsten kommt es auf die Kontakte an, die man hat. Viele Objekte sind in der Hand der Bundesimmobiliengesellschaft, das funktionierte ganz gut.
Hat die Stadt ein Interesse daran, diese Orte geheim zu halten?
Viele Orte stellen ein Sicherheitsrisiko dar, da hat man natürlich wenig Freude, wenn dort Leute herumklettern. Das ist auch ein Haftungsproblem. Rücksicht muss man natürlich auch auf Orte nehmen, die sich im Privatbesitz befinden. Und bei so heiklen Orten, die an die NS-Zeit erinnern, hat man auch Angst vor Spinnern.
Welcher Ort ist ihr Lieblings-lost place in Wien?
Da gibt es einige. Während mein Co-Autor Robert Bouchal als Höhlenforscher mehr von den unterirdischen Orten fasziniert ist, üben Dachstühle auf mich einen besonderen Reiz aus. Wir waren in der Michaelerkuppel in der Hofburg - wer das nicht gesehen hat, kann sich das auch nicht vorstellen! Diese Stahl-Holz-Schale im Gegensatz zu dem neobarocken Außenbau - fantastisch! Aber auch das Teleskop im Sternwartepark, das dahinmodert, ist reizvoll.
Wie kann es ein, dass es in einer Weltstadt wie Wien solche vergessene Orte überhaupt gibt?
Dieses Phänomen gibt es nicht nur in Wien, sondern in allen großen Städten. Es gibt eine reiche Literatur über London mit seinen verlassenen Industrieanlagen oder auch Berlin ist ein gutes Beispiel. Die Bunkerbauten dort sind ganz besonders. Auch in Österreich ist es sehr interessant, sich umzusehen - es gibt verlassene Bergwerke, Hotels oder Industrieanlagen.
Aber wie können diese Orte heutzutage wirklich in Vergessenheit geraten?
Es wird nicht immer alles weggerissen, sondern überbaut. So bleiben alte Weinkeller erhalten. Ich zitiere in dem Buch Aleida Assmann mit ihrem Ausspruch, dass Zeitschichten wie mittelalterliches Pergament überschrieben werde. Diese Zeitschichten ist neue Architektur.
Wann werden diese Orte verschwinden? Ist in unserem Zeitalter Raum für diese geheimen Orte?
Sie werden tendenziell weniger werden. Stadtverwaltung und Investoren möchten Raum möglichst lukrativ nutzen und Altes wird verschwinden. Oft wird nur einfach darüberbetoniert und verschwindet aus dem öffentlichen Bewußtsein. Das wieder ans Tageslicht zu holen, ist spannend.
Wen möchten Sie mit Ihrem Buch ansprechen?
Leute, die Wien lieben und näher hinschauen möchten. Die neugierig sind auf Gegenwelten zu glatten Dingen wie Schönbrunn, Stephansdom oder Belvedere - das verursacht vielen schon ein Gähnen. Es ist spannend, andere Geschichten zu erzählen.
Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Buch?
Ich habe schon einige Bücher zu ähnlichen Themen geschrieben, und nun wollte ich etwas Spezielles zur Lost-places-Szene schreiben. Mich faszinieren Orte, wo die Zeit stehen geblieben ist, die Flair haben und eine Morbidität ausstrahlen.
Ist Wien tatsächlich so morbide wie sein Ruf?
Ja, ich würde schon sagen, dass es in Wien eine gewisse Neigung zu diesem Thema gibt. In Wien herrscht Lebensfreude, es bewegt sich viel, aber eine Morbidität ist hier schon zu spüren.
Sind Sie ein Nostalgiker?
Ein bißchen schon. Als Historiker beschäftigt man sich ständig mit diesen Dingen und Biografien von Menschen, wo neben dem Geburtsdatum auch gleich das Sterbedatum steht - da kommt schon eine gewisse Sentimentalität auf! Ich sage aber definitiv nicht, dass früher alles besser war. Wir möchten nicht verklären, sondern erinnern und gute Geschichten erzählen.
Zur Sache
"Wien streng geheim!: Verborgene Orte · Vergessene Welten " von Johannes Sachslehner und Robert Bouchal ist im Pichler-Verlag erschienen. Das Hardcoverbuch hat die ISBN: 978-3-85431-732-6, 240 Seiten und kostet 26,90 Euro.
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