Premierenkritik
Die Operette der Zukunft in der Volksoper Wien?
An der Volksoper Wien am Alsergrund wurde Moritz Eggerts "Die Letzte Verschwörung" uraufgeführt. Die BezirksZeitung war vor Ort und hat sich das moderne Spektakel angesehen. Ist das die Operette der Zukunft? Am Mittwoch, 12. April, findet nun die vorerst letzte Aufführung statt.
WIEN/ALSERGRUND. Am Anfang wirkt Friedrich Quant wie ein ganz normaler Bürger: Er arbeitet als Talkshowmoderator, lebt in einer Bilderbuchfamilie und geht glücklich seinem Tagwerk nach. Doch mehr und mehr driftet er in eine andere Wirklichkeit ab, denn er taucht in die Welt der Verschwörungstheorien ein. Zweifelt er zuerst noch daran, ob die Erde nicht doch flach ist, werden seine Gedanken mit der Zeit immer abstruser. Er beginnt auch eine Affäre mit einer Verschwörungstheoretikerin, die ihn etwa glauben lässt, dass Echsenmenschen die Welt beherrschen...
Das ist, sehr grob gesagt, der Plot von "Die Letze Verschwörung". Das Stück feierte kürzlich seine Uraufführung in der Volksoper Wien und ist seither dort zu sehen. "Ein Film von David Lynch als Operette" – das hat dessen Komponist und Schöpfer Moritz Eggert dem Publikum dabei versprochen. Und das hält das Stück auch ein – vor allem im zweiten Teil.
Aber von Beginn an: "Die Letzte Verschwörung" dauert knapp 2,5 Stunden und ist in zwei Akte unterteilt, inklusive einer Pause nach zirka einer Stunde. Im ersten Akt dauert's dabei etwas, bis Quant eingeführt ist und das Stück voll in Fahrt kommt. Seine heile Welt und seine Bilderbuchfamilie (eine Frau, zwei brave Kinder, eh klar) werden vorgestellt. Dabei liebt Volksopern-Direktorin Lotte de Beer, die Regie führte, wohl das Spiel mit Klischees und das Auf-die-Schippe-Nehmen derselben.
Schrecklich nette Parkbesucher
Denn viel mehr Biedermeier kann eine Familie nicht ausstrahlen, als wenn eine Frau in Stöckelschuhen und Rock dem Mann seine Lieblingspizza nach einem langen Arbeitstag freudenstrahlend und singend serviert. Und als Quant in den Stadtpark geht, fühlt sich manch Wiener und manche Wienerin wohl prompt an den Augarten erinnert: Hippe, junge Menschen, die dort picknicken, Joga machen, Joggen gehen und dabei die Großartigkeit des Stadtparks als heile Welt für alle besingen – ja, klar wir gesungen, man sitzt ja immer noch in einer Operette.
Dieser Akt mag sich am Anfang vielleicht etwas ziehen – doch die Zeit braucht es, um die Banalität des Herrn Quant zu demonstrieren. Vor uns steht ein wirklich normaler, echter Mensch, will uns das Stück sagen, der aber nach einigen Begegnungen an seiner Wahrheit zu zweifeln beginnt. Die Affäre mit einer jungen Frau, sie ist selbst Verschwörungstheoretikerin, tut ihr übriges. Sein langsames Abdriften in die Szene macht so Sinn und wirkt glaubhaft.
Vor allem auch mit seiner Inszenierung punktet das Stück in der Volksoper. Da wurde technisch in die Trickkiste gegriffen – so frisch kann eine Operette im 21. Jahrhundert ausschauen. Der moderne Stoff (Verschwörungstheorien im 21. Jahrhundert) wird folgerichtig mit moderner Technik auf die Bühne gebracht.
Das umfasst aufwändige 3D-Einblendungen, die immer wieder über der Bühne flimmern. Da werden riesige Codes und Zahlen eingeblendet, Weltkugeln, die sich im Cyber-Space zusammensetzen. Ist man im Kino oder in der Oper?
Ein wilder Mix
Dies funktioniert auch in Kombination mit den Klassikern der Operette - dem Orchester vor der Bühne, den Sängerinnen und Sängern sowie Tänzerinnen und Tänzern. Atmosphärisch großes Kino – und dramaturgisch eine gelungene Abwechslung. Freunden und Freundinnen der klassischen Operette mag dies aber auch etwas wild erscheinen.
Musikalisch ist man dabei auch nicht im vor-vorigen Jahrhundert steckengeblieben. Das eine oder andere Stück könnte auch als Filmmusik durchgehen – einmal, als in die Sterne geschaut wird, fühlt man sich musikalisch fast an den Star Wars-Soundtrack erinnert. Wobei sich das nicht durchzieht, immerhin hat Eggert laut eigener Erklärung auch Anleihen an Operetten von Jacques Offenbach genommen – und der lebte ja vor 200 Jahren. So bleibt's am Ende doch eine Operette und ist kein Musical.
Abstrus, abgedreht, abgespaced
Vor allem im zweiten Akt nimmt das Stück dann szenisch enorm an Fahrt auf – das illustriert, wie sich Friedrich Quants Welt immer schneller zu drehen beginnt. Bewegt er sich zuerst noch in einem halbwegs realen Rahmen, bricht er daraus zunehmend aus. Da werden dann plötzlich Echsenmenschen zur Realität, eine Pizza wird mit Menschenfleisch belegt, sogar auf einem UFO landet Quant. Spätestens hier kommt das zum Tragen, was Eggert wohl mit "wie ein Film von David Lynch" gemeint hat. Es wird abstrus, abgedreht, am Ende abgespaced.
Eine Zuschauerin in der Schlange bei der Garderobe nach dem Stück meinte, wie die BezirksZeitung exklusiv aufschnappte, ihr hat der moderne Stoff weniger gefallen. Im ersten Teil sei sie vor Langeweile noch eingeschlafen – im zweiten sei ihr das aber nicht möglich gewesen. Es passierte zu viel, war zu laut, zu abwechslungsreich.
Das Fazit
Eine harsche Kritik, denn die Umsetzung wirkt sehr originell, das Stück ist kurzweilig. Die Längen im ersten Teil sind mit Rücksicht auf die Charakterentwicklung zu verzeihen. Natürlich hätte man zuweilen etwas an der Temposchraube drehen und Szenen verfeinern können. Dürften im ersten Teil ein paar Abläufe im Stadtpark einen Tick schneller laufen, hätte man das fulminante Szenen-Feuerwerk im zweiten Teil auch um ein paar Sekunden länger gestaffelt abschießen können. Dann wirkt jede verschossene Rakete vielleicht etwas mehr nach.
Aber gut, es ist Friedrich Quants Entwicklung, die die Gesetze der Mainstream-Logik zunehmend aushebelt – und aus seiner Sicht ist das Stück geschrieben. So bleibt auf alle Fälle ein kurzweiliger Abend in der Oper, der mit seiner modernen Umsetzung zu punkten weiß. Alle Spieltermine gibt es hier
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