Wintergeschichte
Zwei Freunde

- hochgeladen von Brigitte Schweda
Zwei Freunde
Bleiern liegt der See im Dämmerlicht, vereinzelte Schneewehen bedecken das Eis. Das matte Licht des Mondes vereinigt sich mit dem ersten Grau des Tages. Die Winterlandschaft wirkt kalt wie der Wind, der die blattlosen Bäume wie von Geisterhand hin und her bewegt.
Das alte Holzhaus steht verloren in dieser konturlosen Landschaft aus weiß und grau. Nur der Wind bringt etwas Bewegung in diese stumme Szenerie. Aus einem Fenster dringt schwaches Licht hervor und verliert sich sofort in der Weite. Das Feuer im Kamin ist fast niedergebrannt und nur ein leises Knacken verrät, dass noch etwas Leben in den glühenden Scheiten steckt. Auf dem alten Eichentisch stehe zwei Gläser halbvoll mit Whiskey und einander gegenüber sitzen zwei alte Männer. Sven hat seine neunzig Jahre schon überschritten, aber dem vom Leben und Wetter gegerbten Gesicht sieht man sie nicht an. Es ist scheinbar alterslos-irgendwie eingefroren in einem Moment vor 20 Jahren wie die Landschaft ringsum. Sie verändert sich kaum und auch dieses alte Gesicht verändert sich nicht mehr mit den Jahren. Doch die Augen unter den wilden weißen Brauen sind noch sehr lebendig und starren angestrengt auf das Schachspiel auf dem Tisch.
Auch sein Gegenüber hat schon viele Jahre kommen und gehen sehen. Seine noch immer dichten Haare sind weiß und nur hin und wieder lässt eine winzige Strähne die braunen Haare der Jugend erkennen. Sie sitzen schon seit Stunden wortlos und vertieft einander gegenüber. In diesem kargen Land werden auch die Menschen karg und verwenden nicht viele Worte. Die Whiskeyflasche auf dem Tisch ist halb leer und Zigarettenrauch hängt wie ein Schleier im Zimmer. Doch spürt man das Feuer der beiden für das Spiel, das sie ganz gefangen nimmt. Von Sven hatte der Freund zuletzt nur ein Wort vernommen– leise, aber doch bestimmt: „Schach“. Es kam ihm ruhig von den Lippen, doch die Herausforderung war nicht zu überhören.
Der fast unhörbare Seufzer des anderen lässt seine Unruhe vermuten und seinen inneren Kampf. Soll er sich schon geschlagen geben oder wird sich noch eine Möglichkeit eröffnen, ein Zug, DER Zug, der alles noch verändert. Fieberhaft in Gedanken fliegen seine Augen auf dem Spielbrett hin und her. Nur keine Möglichkeit unbeachtet lassen, dieser nächste Zug muss gut überlegt sein, er wird eine Entscheidung bringen. Wie in Trance nimmt er das Whiskyglas und trinkt einen großen Schluck – langsam und bedächtig lässt er sich den Geschmack auf der Zunge zergehen als würde er damit einen neuen Gedanken herbeiholen können.
Auch Sven nimmt das Glas zur Hand, ob aus langjähriger Gewohnheit es dem Freunde gleichzutun oder nur um einfach auch seine Spannung zu beruhigen. Welchen Zug wird der Freund finden; allerdings weiß Sven in seinem Innersten, dass es keinen wirklichen Ausweg für den Freund bei diesem Stand der Figuren geben wird. Doch er wartet geduldig wie in all den vielen schon vergangenen Jahren, er hat es nicht eilig. Dieses Land und diese Menschen kennen keine Eile, hier lebt man mit Bedacht und Geduld im Laufe der Jahreszeiten und der Natur.
Draußen beginnt der Tag, die Dämmerung weicht und leichte rosige Wolken künden den baldigen Aufgang der Sonne an.
Da macht der Freund den lang erwarteten Zug und er hat etwas Endgültiges, die Aufgabe bereits in sich tragendes an sich. Er hätte den König nicht mehr zu bewegen brauchen, es war eigentlich sinnlos und doch wollte er sich nicht vor dem unvermeidlichen Ende geschlagen geben. Nun steht der König ohne weiteren Ausweg auf seinem letzten möglichen Feld und die Freunde sehen sich in die Augen, ein leichtes Nicken mit dem Kopf und dann fällt nur mehr ein Wort: „Matt“.
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