Seeschlacht 1866
Rust und Oggau kämpften am trockenen Neusiedler See

- Am 6. November 1866 kam es zu einer Seeschlacht an den Ufern des ausgetrockneten Neusiedlersees zwischen den Nachbargemeinden Oggau und Rust. (Am Foto: Die evangelische Kirche der protestantischen Freistadt Rust)
- Foto: Stadtarchiv Freistadt Rust
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Kaum zu glauben, aber historisch belegt: 1866 kam es zwischen den Nachbargemeinden Rust und Oggau im Nordburgenland zu einer ungewöhnlichen „Seeschlacht“ – und das auf trockenem Boden. Auslöser war ein Stück Wiese nahe dem Schilfgürtel des Neusiedler Sees. Bis heute ranken sich Gerüchte um Todesopfer, Bauernwaffen und jahrzehntelange Feindschaft. MeinBezirk klärt auf – bevor am Freitag der symbolische Friedensschluss gefeiert wird.
RUST/OGGAU. Wer heute in Rust oder Oggau an einem Stammtisch sitzt, wird sie hören: die Geschichte der Seeschlacht von 1866. Doch je nachdem, in welchem Ort man zuhört, klingt sie ganz anders. Während in Rust von strategischer Kriegsführung und einem brillanten Anführer erzählt wird, spricht man in Oggau von heldenhaften Bäuerinnen und Bauern, die sich mit selbstgebauten Kanonen zur Wehr setzten. Manche behaupten, es habe sogar Todesopfer gegeben – andere wiederum winken ab und sprechen von übertriebenem Dorftratsch. Über Generationen hinweg wurden die Erzählungen ausgeschmückt, mit etwas oder auch ausartender Fantasie angereichert – und nie ganz vergessen.

- Am 5. November versammelten sich die Bewohnerinnen und Bewohner Oggaus bei der Rosienkappelle, als Rusterinnen und Ruster einen Teil ihrer Ernte stahlen.
- Foto: Rudolf Rainprecht
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Um Licht ins historische Dunkel zu bringen, hat sich MeinBezirk auf Spurensuche begeben und mit den Historikern Rudolf Rainprecht (Oggau) sowie mit Ruster Stadtchronisten Wolfgang Bachkönig gesprochen. Gemeinsam mit Historiker Martin Krenn stehen sie für die Aufarbeitung der Seeschlacht zwischen Rust und Oggau. Bevor die Gemeinden am Freitag mit einem Denkmal und einem großen Fest ihre jahrhundertelange Rivalität beenden wollen, lohnt sich ein Blick zurück – auf einen Konflikt, der mehr mit Identität und lokaler Erinnerungskultur zu tun hat als mit tatsächlicher Kriegsführung.
Längste Trockenperiode des Neusiedler Sees
Wir schreiben das Jahr 1866. Österreich hatte gerade eine verheerende Niederlage im Krieg gegen Preußen bei Königgrätz erlitten – das Habsburgerreich wankte, die politische Ordnung geriet ins Rutschen. Und auch im Kleinen sollte dieses Jahr für Rust und Oggau zu einem Wendepunkt werden: Ein banaler Grenzstreit eskalierte zur offenen Rivalität mit Gewaltpotenzial. Der Neusiedler See war zu dieser Zeit fast vollständig ausgetrocknet – wie schon öfter in der Geschichte. Mit dem Rückgang des Wassers wurde ein Stück Wiese nahe dem Schilfgürtel, das sogenannte „Erbfischwässer“, immer wichtiger. Es war traditionell von Familien beider Gemeinden genutzt worden als Mähfläche. In der Trockenzeit aber verschärften sich die Besitzansprüche. Beide Orte beanspruchten das Gelände, das „d’Wassa“, für sich.

- Rudolf Rainprecht vor einem Teil seines privaten Archivs zur Geschichte seiner Heimatgemeinde Oggau.
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Am 6. November 1866 kam es zur Eskalation. Der Konflikt beschäftigte Behörden, Gerichte – und die beiden Dörfer – noch Jahrzehnte später.
Ein "blutiger Raufhandel" zwischen Nachbargemeinden
Die einen danken für die Ernte, die anderen fahren sie ein – so überspitzt könnte man den Beginn der sogenannten Seeschlacht auf trockenem Boden zwischen Oggau und Rust im Jahr 1866 beschreiben. Familien beider Gemeinden hatten zuvor die Fläche der „Erbfischwässer“ nahe dem Neusiedler See gemäht. Das wertvolle Streu – trocknende Gräser – lag bereit zur Abholung. Doch im Hintergrund war der Konflikt um die Nutzungsrechte dieser Wiesen bereits voll entbrannt.

- Die Marktgemeinde Oggau war zur Zeit der Seeschlacht ärmlicher, im Vergleich zur wohlhandenden Freistadt Rust.
- Foto: Rudolf Rainprecht
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Rust als protestantische Freistadt verfügte über mehr Rechte und Wohlstand, Oggau hingegen war eine vergleichsweise ärmliche katholische Gemeinde. Ein einzelner Kegel des Mähguts war rund 30 Kreuzer wert – heute etwa 7,90 Euro – ein kleines Vermögen für die Oggauer Bevölkerung. Für die Rusterinnen und Ruster war das trockene Gras teils Futter aber hauptsächlich Einstreu für ihr Vieh – vor allem in Zeiten wie diesen: Der Neusiedler See war seit zwei Jahren beinahe vollständig ausgetrocknet und sollte dies auch bis 1870 bleiben.
Ernte, Gebet – und der „Angriff“
Am 5. November 1866 stand die jährliche Emmerich-Prozession in Oggau an – fast das ganze Dorf machte sich auf den Weg zur Rosaliakapelle. "Alle, bis auf die Alten, die nicht mehr gehen konnten, und die ganz Jungen, die noch nicht gehen konnten, versammelten sich zur Emmrich-Prozession", erklärt Rudolf Rainprecht. Ein historischer Zufall: Während Oggau im Norden betete, nutzten die Rusterinnen und Ruster im Süden die Gelegenheit. Sie fuhren mit Wägen zur umstrittenen Fläche und begannen, Teile der bereits eingebrachten Ernte zu verladen.
Am nächsten Tag, dem 6. November, feierte Oggau das Hochamt zu Ehren des Heiligen Leonhard – auch diesmal war das Dorf größtenteils in der Kirche. Doch während der Messe verbreitete sich die Nachricht vom erneuten „Zugriff“ der Ruster Einwohnerinnen und Einwohner – diesmal sollte es nicht ohne Gegenwehr ablaufen. „Bewaffnet“ mit Sensen, Knüppeln und Werkzeug machten sich Dutzende in Oggau auf den Weg. Rust hingegen hatte als Freistadt Zugang zu Schusswaffen – unter der Leitung des Stadthauptmanns Franz Odorfer soll es zum Kommando „Feuer!“ gekommen sein.

- Der Riedplan zwischen Rust und Oggau. Unten am Bild: Die "Erbfischwässer".
- Foto: Rudolf Rainprecht
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Drei Männer aus Oggau – Josef Berger, Lorenz Hafner und Thomas Laschitz – wurden schwer verletzt, durch Schüsse und Schläge mit Gewehrkolben. Auch wenn später von Toten die Rede war, blieb es bei Verletzten. Die Presse sprach von einem „blutigen Raufhandel“, der große bekannte Dorfkonflikt am Neusiedler See war entfacht.
Zwischen Dorftratsch, Wahrheit und Versöhnung
Die Auseinandersetzung hatte ein juristisches Nachspiel: 16 Personen aus Rust und 25 aus Oggau wurden angeklagt. Die Gerichtsverfahren zogen sich über fünf Jahre hin, erst 1871 wurden Strafen ausgesprochen – Gefängnisstrafen von einem Monat bis zu einem Jahr. Ein Bittgesuch an den Kaiser sorgte schließlich für Strafmilderung: „Sie wurden ja schließlich bei der Arbeit gebraucht“, erklärt Historiker Rudolf Rainprecht. Zu dieser Zeit war der Neusiedler See bereits wieder gut gefüllt – der Konflikt war beigelegt.
Trotz jahrzehntelanger Feindschaft wuchs allmählich wieder Normalität zwischen den Gemeinden. Der symbolische Friedensschluss blieb jedoch aus – bis heute. Gemeinsam mit dem Ruster Chronisten Wolfgang Bachkönig und dem Historiker Martin Krenn möchte Rainprecht das ändern. Nach beinahe 160 Jahren soll am Freitag ein Denkmal enthüllt und die einst blutige Geschichte offiziell befriedet werden. Aus Feindschaft wurde Freundschaft – und eine Episode voller Mythen, Widersprüche und echter Geschichte.

- Ehemaliges Familienhaus von Franz Odorfer, Stadthauptmann der Freistadt Rust.
- Foto: Wolfgang Bachkönig
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Am kommenden Freitag laden die Marktgemeinde Oggau und die Freistadt Rust zu einer offiziellen Denkmaleröffnung und einem lange überfälligen Friedensschluss. "Obwohl die Bürgerinnen und Bürger von Oggau und Rust seit Generationen in Harmonie und Eintracht leben und diesen Frieden über Jahrzehnte durch zahlreiche Hochzeiten besiegelt haben, gab es bis dato keinen offiziellen `Friedensschluss´", erklären Rainprecht, Krenn und Bachkönig in einem Schreiben. An der Hottergrenze "Gmerk", am Radweg zwischen Oggau und Rust, kommt es am Freitag, 6. Juni, um 18 Uhr zur Einweihung des Friedensdenkmals, als Symbol der Freundschaft und Liebe, symbolisiert durch die geschlossenen Hochzeiten und Beziehungen zwischen den zwei Nachbargemeinden.
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