5 Minuten Wien: Das halbvolle Glas
WIEN. Der Wiener ist im Grunde ein Grantler, der alles zumeist negativ sieht. Aber eigentlich ist das Schlechte, das dann eintrifft, ja eh gut. Denn schließlich hätt’s immer schlimmer kommen können.
So ist es wohl nur selbstverständlich, dass ein Wiener ein Glas als halb leer bezeichnet – auch wenn es eigentlich noch drei viertel voll ist. Das ist einfache Mathematik, die einem in Favoriten und Meidling schon in die Wiege gelegt wird (in den meisten anderen Bezirken auch).
Da tut es gut, wenn man merkt, dass es doch noch Optimisten in Wien gibt. Interessanterweise unter den Gastronomen, berichtete mir Freundin Anna Cervena. Sie liebt es, in Wien ins Beisl zu gehen und ein oder zwei Bier zu trinken – Krügerl natürlich, und am besten tschechisches. Das ist sie ihrem Namen eben schuldig.
"In der Hälfte der Lokale kommt das Bier auf den Tisch und der Halbliterstand wird deutlich unterschritten", erzählt mir Anna. Das ärgert sie so sehr, dass sie einfach reklamiert. "Ich bekomme ja auch keinen Rabatt und wenn der Zentimeter bei jedem Gast fehlt, dann ist das ein tolles Körberlgeld, mit dem der Wirt schon nach einem Monat auf Urlaub fahren kann." Ja, Anna übertreibt auch ein bisschen.
Meist bekommt sie auch eine Entschuldigung für ihr schlecht eingeschenktes Bier. Doch ein Kellner meinte: "Das ist doch eh voll." Den Hinweis, dass der Strich gut einen Zentimeter über dem Bierstand sei, wischte er elegant vom Tisch: "Das ist so aus’m elektronischen Zapfhahn gekommen. Das stimmt schon so." Da kann man nichts mehr sagen: Optimismus trifft Obrigkeitsglauben.
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