Rettungsfahrer landen im Nirgendwo
Oft genug irren Einsatzkräfte auf der Suche nach dem Herzinfarkt-Opfer durch ein Dorf und verzweifeln am unübersichtlichen Hausnummern-Chaos. Noch dazu gibt es viele Orte ohne Straßenbezeichnung.
BEZIRK. Alle Blaulichtorganisationen sind mit Navigationsgeräten ausgerüstet. Trotzdem finden die Rettungskräfte nicht immer auf Knopfdruck zum Einsatzort. „Viel zu oft sind wir in den kleinen Katastralgemeinden auf der Suche nach der Adresse und verlieren wertvolle Minuten“, bestätigt Bernhard Seidl, Leiter der Rot-Kreuz-Stelle Zistersdorf. Minuten die manchmal über Tod oder Leben entscheiden.
Wenn die Hausnummer nicht im digitalen Kartensystem des Navigationsgeräts gespeichert ist, leitet dieses den Suchenden zur nächsten erfassten Nummer – die aber nicht in der Nähe der gesuchten Adresse sein muss. In vielen Orten gibt es nämlich keine Straßenbezeichnungen und die Nummern wurden chronologisch vergeben.
„Wenn das Haus Nr. 600 am Südende des Orts stand und das nächste Haus am Nordende gebaut wurde, erhielt dieses eben die Nummer 601“, erklärt Hermann Gindl, Bürgermeister von Hohenruppersdorf.
Seine Gemeinde hat daher vor zehn Jahren ein neues Adresssystem mit Straßennamen und der klassischen Durchnummerierung vom Zentrum in die Peripherie eingeführt. Kostenpunkt: 26.000 Euro bei 430 Häusern.
In einigen anderen Gemeinden werden ähnliche Überlegungen gestellt, die Kosten schrecken viele ab.
Theoretisch ist die Umstellung auch nicht notwendig – vorausgesetzt, alle Adressen sind lückenlos digital erfasst. Denn das „Navi“ führt zu jeder exakten Adresse hin. Gibt es beispielsweise in allen vier Katastralgemeinden von Sulz im Weinviertel nur einmal den Eintrag Obersulz 959, findet ihn das Navigationsgerät auch ohne Probleme.
Theoretisch: Denn in der Praxis müssen sich Kranke in der Nacht auf die Straße stellen und die Rettung herbeiwinken, die schon die dritte Ortsrunde fährt.
Es scheitert am lückenhaften Datenmaterial. „Und in der Nacht sind nicht einmal Passanten unterwegs, die man nach dem Weg fragen könnte“, erzählt Seidl aus der täglichen Praxis.
Doch auch in weniger dramatischen Situationen ist die Adresssuche mühsam. Nicht ortskundige Briefträger können die Post kaum vorsortieren, wenn die Hausnummern ohne ersichtliche Logik verteilt sind. Petra Gindl aus Hohenruppersdorf ist für die Qualitätssicherung der häuslichen Pflege in den Bezirken Gänserndorf und Mistelbach zuständig.
Sie ist von den Navigationssystemen enttäuscht: „Ich habe bereits das vierte Gerät, aber in großen Ortschaften ohne Straßennamen hat noch keines funktioniert. Höchstens 20 Prozent aller Häuser sind erfasst.“ Für die Adresssuche plant sie daher in solchen Orten prinzipiell mehr Zeit ein. Oder sie fragt einen Briefträger – der hoffentlich nicht vertretungsweise unterwegs ist.
Orientierungshilfe
Ludwig Huber aus Obersulz hat sich eingehend mit dem Thema auseinandergesetzt. Er arbeitet an einer Broschüre mit dem Titel „Orientierung in den Gemeinden“. Sie enthält Vorschläge, wie Ortspläne und Infotafeln übersichtlicher gestaltet werden könnten, aber auch zwei Varianten, um die Adressfindung zu optimieren.
Infos unter wiggalose@aon.at
Die Kartenanbieter beauftragen sogenannte Geoanalysten, die täglich mit Spezialfahrzeugen auf der ganzen Welt unterwegs sind und Daten sammeln. Jede hochrangige Straße wird mindestens einmal jährlich befahren. Die Regionen sind in fünf Kategorien nach Wertigkeit unterteilt. „Weiße Flecken“ auf den Karten gibt es daher hauptsächlich in ländlichen Gebieten.
Ulrike Potmesil
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