Mein Kind wird gemobbt. Was kann ich tun?
Anlässlich des Gewaltvideos, das über soziale Netzwerke verbreitet wurde und für Entsetzen gesorgt hat, bat die bz Ercan Nik Nafs, Anwalt bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien zum Interview.
Anlässlich des Gewaltvideos, das über soziale Netzwerke verbreitet wurde und für Entsetzen gesorgt hat, hat die bz bei Ercan Nik Nafs, Anwalt bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien nachgefragt, was man konkret tun kann, damit es erst gar nicht so weit kommt. Wie ich mich als Augenzeuge eines derartigen Vorfalls verhalten soll und wer den Opfern und deren Angehörigen hilft.
Wie verhält sich ein Kind, das gemobbt wird? Gibt es Warnsignale?
ERCAN NIK NAFS: Es gibt ganz klare Zeichen: Das Kind ist sehr introvertiert, seine Kommunikation nach außen ist sehr begrenzt. Es ist ängstlich und kann häufig über Kopf- und Bauchschmerzen klagen. Es kann zu Hause sehr aggressiv und aufgewühlt auftreten. Die Signale sind eindeutig. Jetzt heisst es handeln. Sprechen Sie das Kind darauf an. Kontaktieren sie Experten - Klassenvorstand, Schulpsychologe, Vertrauenslehrer, Institutionen wie Rat auf Draht oder uns. Diese Personen helfen dabei abzuklären, was vorgefallen ist und wissen was zu tun ist. Betroffene und deren Angehörige können sich an alle Institutionen anonym wenden und beraten lassen.
Wie lange muss ein Kind gemobbt werden, bis diese Warnsignale auftreten?
Mobbing bedeutet, dass man über längeren Zeitrahmen einem psychischen und physischen Druck ausgesetzt wird. Ziel ist es, diesem Menschen zu schaden, ihn zu blamieren und es dauert nicht lange, bis die oben genannten Alarmsignale auftreten. Bei sensiblen Kindern können die Anzeichen bereits nach 2-3 Wochen auftreten.
Gibt es einen Opfertyp?
Mobbing ist sehr vielschichtig, es kann einen beliebtes Kind genauso treffen, wie ein unbeliebtes. Kinder und Jugendliche, die ein gesundes Selbstbewusstsein besitzen, mit Konflikten umgehen können und sich schnell Hilfe holen, werden seltener gemobbt.
Werden Lehrer auf solche Situationen speziell geschult?
Erfreulicherweise machen viele Lehrer Fortbildungen in diese Richtung, aber die sind nicht verpflichtend. Man darf den Lehrern nicht die volle Verantwortung übertragen und erwarten, dass sie alle Situationen lösen. Wichtig ist, ein geschultes Auge zu haben, Veränderungen zu bemerken und die Schulpsychologen miteinzubeziehen.Nicht wegschauen, sensibel sein und das Bewusstsein haben, dass Mobbing großen Schaden anrichten kann.
Was kann ich als Kind bzw. Jugendlicher tun, wenn ich merke, dass ein Mitschüler gemobbt wird?
Im Idealfall wendet sich der Schüler an den Klassenvorstand. Natürlich können sie sich auch anonym an Anlaufstellen wie Rat auf Draht wenden.
Wie verhalte ich mich, wenn ich Augenzeuge einer Gewalttat werde?
Wenn Sie eine Garantenrolle inne haben, also Lehrer in einer Schule sind, die Aufsichtspflicht haben und eine Situation eskaliert, sind sie verpflichtet zu handeln.
Wenn Sie Zeuge einer Gewalttat werden, sollten Sie sofort die Polizei rufen. Aktives Eingreifen ist nur was für geschulte Personenkreise, die eine professionelle Ausbildung haben und wissen wie man mit solchen Situationen umgeht. Also die sicherste und beste Hilfeleistung ist, wenn man die Polizei ruft.
Was passiert nach einer Gewalttat? Was können Eltern tun, wer hilft dem Jugendlichen?
Ein wichtiger Rat für alle Eltern ist, nicht über zu reagieren. Sie sollten möglichst nicht versuchen den Konflikt selbst zu lösen, die Gegenseite aufzusuchen oder mit den Eltern Kontakt aufzunehmen. Es kann in manchen Fällen gut laufen, es kann aber auch eskalieren. Wenn der Konflikt in der Schule war, den Klassenvorstand und die Schulleitung informieren. Wenn die Gewaltanwendung im öffentlichen Raum war, die Polizei kontaktieren und dem Jugendlichen die bestmögliche Unterstützung anbieten.
Stichwort Cybermobbing. Was kann ich tun, wenn etwas Kompromittierendes ins Netz gestellt wurde?
Niemand schafft es, selbst einen Eintrag löschen zu lassen. Man hat ja gemerkt, dass das Löschen eines Videos bei Facebook gar nicht so leicht ist. Beim aktuellen Vorfall konnte das betreffende Video erst ein paar Tage später - durch die Intervention des Justizministeriums - bei Facebook gelöscht werden. Hier empfehle ich die Institution Saferinternet. Dort sitzen Profis, die immer auf dem aktuellen Stand sind. Die wissen was zu tun ist.
Was passiert, wenn Einträge im Netz auftauchen, die einem ein Leben lang verfolgen? Wir leben in einem digitalen Zeitalter - ein gesunder Umgang damit ist wesentlich. Wo liegen die Chancen, wo die Risiken?
Es liegt in unserer Verantwortung unsere Kinder möglichst früh darüber aufzuklären. Da haben wir als Erwachsene teilweise Nachholbedarf, denn wir verlieren oft den Überblick über Facebook, WhatsApp, Snapchat und Co. Hier muss ein ständiges Update auch bei den Erwachsenen stattfinden, damit sie mit den Jugendlichen mithalten können und verstehen in welchen Welten sie sich bewegen.
Zur Sache
Mag. Ercan Nik Nafs ist seit über 2 Jahren Kinder- und Jugendanwalt bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien
Institutionen im Überblick:
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien
Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) ist als Ombudsstelle eine unabhängige Einrichtung der Stadt Wien, die sich parteilich für die Interessen von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Das heißt, wir nehmen dich, deine Rechte und Anliegen ernst und setzen uns für dich ein!
Tel: 01/70 77 000
www.kja.at
Saferinternet
Saferinternet.at unterstützt vor allem Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrende beim sicheren, kompetenten und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien.
www.saferinternet.at
Rat auf Draht
Notruf für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen
Hotline: 147
www.rataufdraht.at
together
Der gemeinnützige Verein together ist die erste Adresse für Schulmediation in Wien
www.mediation-together.at
samara
Verein für Prävention von (sexueller) Gewalt
www.praevention-samara.at
Selbstlaut
Insitution gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen
www.selbstlaut.org
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