Menschen im Gespräch
Ex-Vice-Chefredakteur Markus Lust über "Semmelmenschen"

Ex-Vice-Chefredakteur Markus Lust ist gebürtiger Linzer und ist gerade mit seinem neuen Roman "Semmelmenschen" auf Lesereise in Linz gewesen. | Foto: Stefanie Neunteufl
  • Ex-Vice-Chefredakteur Markus Lust ist gebürtiger Linzer und ist gerade mit seinem neuen Roman "Semmelmenschen" auf Lesereise in Linz gewesen.
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Der Linzer Journalist und Kommunikationsexperte Markus Lust war Chefredakteur beim Lifestyle-Magazin VICE. Vor Kurzem erschien sein erster Roman "Semmelmenschen".

LINZ. Markus Lust, 1982 in Linz geboren, hat gerade auf Lesereise seiner alten Heimat einen Besuch abgestattet. Wir haben mit ihm über seine Hassliebe zu Linz, seinen neuen Roman "Semmelmenschen", selbstgerechte Alt-Hippies und den Ibiza-Skandal gesprochen.

Bis 2018 warst du ja Chefredakteur des österreichischen VICE-Magazins. Fehlt dir der Journalismus schon?
Markus Lust: Überhaupt nicht. Journalismus ist nicht besonders gut für die Psychohygiene. Du beschäftigst dich ja den ganzen Tag mit den schlechtesten, schlimmstmöglichen Ausnahmen von der Regel. Nur wenn etwas selten ist, ist es eine Geschichte. Und weil wir Menschen uns lieber aufregen als freuen, sind das meistens eben nicht unbedingt positive Seltenheiten.

Wo bist du aktuell beruflich unterwegs?
Ich leite jetzt die Strategie bei Virtue, der Werbeagentur von VICE. Das heißt, ich habe zwar die Branche und den Job gewechselt, aber nicht den Arbeitsplatz. Weil ich glaube, dass es im Moment immer noch der spannendste, beste Ort ist, an dem man zumindest in Österreich arbeiten kann. Auch hier geht es darum, sich tief in kulturelle Themen rein zu tigern und spannende, andersartige Ansätze zu finden – nur mache ich daraus keine Artikel mehr, sondern alles von Social-Media-Kampagnen bis zu kompletten Rebrandings.

Ich war aber auch generell nie der Typ, der einen geraden Karriereweg in ein und derselben Branche angestrebt hat. Im Gegenteil, das war mir immer suspekt. Ich meine, Leute, die nicht nur ständig wissen, was sie wollen, sondern dann auch noch langfristig dabei bleiben? Das finde ich fast pervers. Mich interessieren einfach alle Facetten von Kommunikation und Kultur – von Wrestling bis Werbung, von Jugendkulturforschung bis Journalismus oder eben auch vom Schreiben von Artikeln bis zum Schreiben von Büchern.

Fast legendär ist ja deine erste Veröffentlichung "111 Gründe Wien" zu hassen. Auch über Linz hast du in einem Artikel einmal schwer abgelästert. Was ist so schlimm an Linz?
Der Provinzialismus, der so tut, als wär’ er keiner. Der österreichische Minderwertigkeitskomplex ist hier noch ausgeprägter als in anderen Städten – immerhin war man mal die Lieblingsstadt des Führers und ist jetzt nur noch der Ort, wo Bushido mal im Häf’n war. Anders bringt man die Stars nicht zum Bleiben.

Gibt’s auch etwas, das du an der Stahlstadt magst?
So beschissen und reaktionär das Drumherum auch ist, so nett waren zum Beispiel meine Lesungen und die Menschen dort. Es gibt schon auch coole Plätze – zum Beispiel das Salonschiff Fräulein Florentine, die Stadtwerkstatt, den Schlossberg oder den Hafen. Man muss sich das Nette in Linz nur sehr viel härter erarbeiten als in einer richtigen Großstadt. Ich mag auch die Ecken, wo Linz nicht mal so tut, als würde es Anschluss an den Rest der Welt suchen. Diese ehrliche Kellermentalität der Leute, die zwei Querstraßen von der Landstraße entfernt in Siedlungen wohnen, wo der Ostblock sich zumindest gedanklich nie aufgelöst hat.

Du warst ja gerade mit deinem ersten Roman "Semmelmenschen" in Linz auf Lesereise zu Besuch. Horrortrip oder eh ganz nett?
Nach meiner ersten Lesung im Adalbert-Stifter-Haus waren wir in der "Alten Welt", was bei mir für böse Flashbacks in die Schulzeit gesorgt hat. Es schaut auch immer noch genau gleich aus und man darf sogar nach wie vor rauchen. Nach meiner zweiten Lesung im Willi*Fred war ich mit ein paar Leuten von früher im El Mariachi in der Altstadt und fühlte mich augenblicklich in meine Matura-Zeit zurückversetzt.

In deinem Buch thematisierst du auch die österreichische Politik. Inzwischen ist ja einiges passiert, zufrieden mit der Entwicklung seit dem Ibiza-Skandal?
Ich glaube, man muss zwei Dinge unterscheiden: Was ist die eigene Meinung und was denkt die Mehrheit wirklich. Was ich persönlich denke, ist vermutlich keine Überraschung. Das Video ist eine einzige Deix-Karikatur und bestätigt fast jedes Vorurteil, das man zu diesen Typen hatte – Macho-Angeberei und Vodka-Energy. Viel relevanter ist: Was denkt die Mehrheit wirklich? Während sich die Linke in eine Rage hineinredet, gewinnt Strache genug Vorzugsstimmen fürs EU-Parlament. Warum? Weil in den Augen der Bevölkerung Politiker sowieso alle korrupt sind – mit dem Unterschied, dass sie den armen Strache alle fertigmachen wollen.

Und überrascht dich das?

Es ist ein selbstgerechter Irrglaube, dass man die Überzeugung der Menschen mit Fakten ändern kann. Darum geht es auch in "Semmelmenschen". Die Rechten fühlen sich als Revoluzzer, weil sie die Regeln brechen und den Moralaposteln den Mittelfinger zeigen. Die Linken ruhen sich währenddessen auf ihrer moralischen Überlegenheit aus. Im Roman treffen sich ehemalige Cannabis-Dealer irgendwo in der Pampa zum Kommunen-Klassentreffen, um ein Protestkonzert gegen Sebastian Kurz zu planen. An einer Stelle sage ich: Es hat eine gewisse Dreistigkeit, bei einem Hippie-Treffen im Nirgendwo den Eskapismus der anderen anzuprangern. Das stimmt leider auch weit über diese eine Kiffer-Kommune hinaus.

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