Kinder auf der Flucht

Emira Malic und ihr Schützling Alim in einer Wohneinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Linz.
  • Emira Malic und ihr Schützling Alim in einer Wohneinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Linz.
  • hochgeladen von Nina Meißl

Sie sind noch nicht einmal volljährig und nehmen die gefährliche Reise allein auf sich: Alleine in Oberösterreich sind derzeit mehr als 490 Jugendliche unter 18 Jahren in der Grundversorgung untergebracht. Einer von ihnen ist Alim (Name von der Redaktion geändert). Sechs Monate schlug sich Alim von Syrien bis nach Österreich durch, zuerst mit dem Boot über das Meer. "Es gab nur zwei Boote für viel zu viele Menschen. In dem Gedrängel habe ich meine Eltern verloren. Als ich in Griechenland ankam, habe ich auf meine Eltern gewartet, aber es war Winter und die Wellen waren zu hoch. Sie konnten nicht nachkommen." Alim machte sich alleine auf den Weg. Bis zu 27 Stunden am Stück lief er mit anderen Flüchtlingen druch die Kälte. "Oft haben wir im Wald geschlafen. Es war Winter, überall Schnee und sehr kalt. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben alleine unterwegs. Ich habe mich verloren gefühlt, aber es hat mich auch stark gemacht."

Kind sein dürfen

Im Jänner dieses Jahres kam Alim endlich in Traiskirchen an und wurde kurze Zeit später nach Linz verlegt. Hier wohnt er gemeinsam mit 27 anderen Jungen in einer speziellen Wohneinrichtung für UMFs (Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge). Erst hier konnte der 16-Jährige wieder durchatmen. "Während der Reise bilden die Jugendlichen eine Schutzhülle. Wenn sie ankommen, haben sie meist eine Körperhaltung, die signalisiert ,Ich bin der Stärkste’, doch in ihren Augen sieht man, dass sie Angst haben. Ein bis zwei Monate nach ihrer Ankunft merkt man dann oft, wie die Hülle zu bröckeln beginnt, wenn sie merken, dass sie wieder Kinder sein dürfen", sagt Emira Malic. Das Wichtigste für die Betreuerin und ihre Kollegen ist, den Jugendlichen ein Gefühl der Sicherheit und eine Tagesstruktur zu geben. Gemeinsam wird etwa Musik gemacht, Sport gemacht, Theater gespielt oder Ausflüge unternommen.

Fast nur Burschen alleine unterwegs

In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Minderjährigen, die ohne Eltern nach Österreich kommen, stetig gestiegen. "Der jüngste Fall, den ich kenne, war erst 13 Jahre alt", so Malic. In den speziellen Wohneinrichtungen befinden sich fast nur Burschen. "Die Eltern können sich die Reise meist nur für eine Person leisten. Weil Buben eher vom Islamischen Staat rekrutiert werden, und man Mädchen nicht so einfach alleine wegschickt, begeben sich meist die Jungen auf die lange Reise", erklärt die Sozialarbeiterin. Oft werden auch Minderjährige geschickt weil man hofft, dass die Familie dann rascher nachkommen kann. Meist kommt es jedoch nicht dazu. Jugendliche werden laut Malic im Asylverfahren nicht vorgezogen und warten oft lange auf den Ausgang ihres Verfahrens. "Sobald es vorbei ist, suchen sich die Jugendlichen einen Job, mit dem sie genug Geld sparen können, damit sie ihre Familie nachholen können. Das kann lange dauern."

Wieder vereint

Alim ist ehrgeizig, hat große Pläne. "Ich will die Universität besuchen und Zahnarzt werden – oder Tennisprofi", lacht der 16-Jährige schüchtern. "Schon als Alim zu uns kam, hat er sofort gesagt, das er studieren und Tennis spielen will. Er will sein Verfahren nicht absitzen und schauen, was kommt. Er möchte die Initiative ergreifen und nimmt jede Chance, die sich ihm bietet", ist Malic stolz auf ihren Schützling, der den A2-Deutschkurs als Bester abgeschlossen hat. "In den wenigen Monaten, die er bei uns ist, hat Alim die meisten Fortschritte unter all unseren Bewohnern gemacht", so die Sozialarbeiterin. Für Alim ist zudem ein Wunsch in Erfüllung gegangen, von dem viele seiner Mitbewohner nur träumen können. In den Zügen, in denen im Herbst tausende Flüchtlinge saßen, waren auch seine Eltern. Sie glaubten, sich bereits in Deutschland zu befinden, als sie in Linz ausstiegen. Mehrere Jugendliche aus dem Wohnheim, die im Postverteilzentrum als Übersetzer aushalfen, hörten sie von ihrem Sohn sprechen, der in Linz sei. Sie wurden sofort hellhörig und sstellten den Kontakt her. "Die Eltern haben es geschafft, dass sie hier bleiben dürfen. So einen Fall hatten wir noch nie", freut sich Malic.

Anhaltspunkt im Leben

Für viele andere Jugendliche, deren Eltern nicht hier sein können, gibt es das Patenprojekt "dUNDu". Dabei übernehmen Familien oder ehrenamtlich engagierte Menschen ein Patenkind, lernen mit ihm Deutsch und verbringen gemeinsam Zeit. "Die Paten sollen Zeit und Liebe schenken, nicht Geld. Die Jugendlichen waren so lange auf sich alleine gestellt, dass sie das Gemeinsame erst wieder lernen müssen. Die Paten sind ein Anhaltspunkt im Leben des Jugendlichen, damit er weiß, dass er nicht alleine ist auf der Welt. Wenn man Anschluss findet und sich jemand um einen kümmert, ist das die beste Basis für Integration", sagt Malic. Neue Paten werden laufend gesucht. Mehr Infos: 0676/87347012 oder www.volkshilfe-ooe.at

Infobox:
Bis Ende September wurden in Österreich insgesamt 56.356 Asylanträge gestellt, elf Prozent dieser Anträge kamen von unter 18-jährigen Flüchtlingen, die ohne ihre Familien nach Österreich gekommen waren. Ein Großteil dieser noch minderjährigen Flüchtlinge ist zwischen 14 und 18 Jahre alt. Immerhin 380 Antragsteller sind aber noch unter 14 Jahre alt. Nach wie vor mangelt es an Grundversorgungsplätzen für diese minderjährigen Asylsuchenden.
Im Mai 2015 beschlossen die Bundesländer, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mithilfe von Quoten aufzuteilen, allerdings kommt kein einziges Bundesland seiner Verpflichtung zu hundert Prozent nach. Das Land OÖ beauftragte verschiedene NGOs wie die Volkshilfe oder die Caritas mit der Betreuung der Jugendlichen. Ende November waren mehr als 490 unbegleitete Minderjährige aus Drittstaaten bzw. Staatenlose in Oberösterreichs Grundversorgung untergebracht. Weitere Wohngruppen werden auf Hochtouren gesucht. „Es fehlen derzeit aber noch 502 Plätze in Kleinstrukturen zur Erfüllung der Quote“, so Landesrat Rudi Anschober.

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